
Oslo, 12. Mai 2022. Auf Pipelines hoffen oder Schiffe nutzen? 16 Euro pro Tonne für die Speicherung von Kohlendioxid unter dem Meeresboden kalkulieren oder 400 Euro? Heute in Infrastruktur investieren oder warten, bis eine echte Nachfrage besteht? Beim German-Norwegian Industry Forum am 12. Mai in Düsseldorf, zu dem die AHK Norwegen, Innovation Norway und die norwegische Botschaft in Berlin eingeladen hatten, ging es um konkrete Fragen. Über einhundert Firmenvertreter aus Deutschland und Norwegen, die fast alle an Projekten zur Dekarbonisierung der Gesellschaft arbeiten, informierten darüber, wie weit sie mit ihren jeweiligen Vorhaben gekommen sind und was sie daran hindert, schneller voranzukommen. So wurden die zweitägige Konferenz zu einem intensiven Erfahrungsaustausch darüber, wie die deutsche und die norwegische Industrie zur Erreichung der Klimaziele beitragen können.
Lange Zeit setzte die deutsche Politik zur Erreichung der Klimaziele nur auf eine reine Energiewende. Nur grüner Wasserstoff sollte gefördert werden. Noch im Januar dieses Jahres hieß es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima beim Besuch des norwegischen Ministerpräsidenten in Berlin: “Wenn man Kohlenstoff-Neutralität will, muss es grün sein. Auch CCS-Gas verursacht CO2-Emissionen”. Die Angebote Norwegens zur Lieferung von blauem Wasserstoff oder eine Zusammenarbeit bei der Abspaltung und Speicherung von Kohlendioxid unter dem Meeresboden (CCS) fanden kein Gehör. „Wann immer die Regierung Geld auf den Tisch legt, wird es um Null-Emissionen gehen. Wenn es einen Markt für blauen Wasserstoff gibt, weil die CO2-Preise hoch sind und sich private Firmen hier engagieren, werden wir dies nicht behindern”, sagte Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Patrick Graichen, in einer Gesprächsrunde mit Jonas Gahr Støre. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und damit die Notwendigkeit, sich von der Abhängigkeit russischer Gaslieferungen zu befreien, hat die Deutschen Demut gelehrt.

Der Besuch des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck in Oslo im März habe die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen auf ein neues Level gehoben, erklärte Torgeir Larsen, der neue norwegische Botschafter in Berlin. Sowohl bei CCS als auch bei der Lieferung von blauem Wasserstoff fand man einen gemeinsamen Nenner „Norwegen will aktiv zur schnellen Entwicklung des Wasserstoffmarktes in Deutschland und der EU beitragen. Dazu wurde eine gemeinsame Prüfung vereinbart, um einen groß angelegten Transport, auch per Pipeline, von Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland zu ermöglichen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die beim Besuch Habeck’s unterzeichnet wurde. Noch vor der Sommerpause soll es weitere Konsultationen zwischen Deutschland und Norwegen geben.
Viel Erfahrungen und umfangreiche Kapazitäten in Norwegen
Botschafter Larsen sieht Norwegen in drei Bereichen als Partner der deutschen Energiewende: als verlässlicher Zulieferer von Erdgas sowohl per Pipeline als auch als Flüssiggas, als Lieferant von blauem und grünen Wasserstoff und Partner in den Bereichen Batterieproduktion, Offshore-Wind Abspeicherung und Lagerung von Kohlendioxid unter dem Meeresboden (CCS). Norwegen verfüge über umfangreiche Erfahrungen bei CCS und über Speicherkapazitäten von 80 Milliarden Tonnen Kohlendioxid auf dem norwegischen Festlandsockel und in der Barentssee. Dort könne 50 Jahre lang das CO2 der gesamten EU gelagert werden, erklärte der Botschafter in seiner Willkommensrede.

Elisabeth Sæther, Staatssekretärin im norwegischen Ministerium für Energie und Petroleum, präsentierte in ihrem Statement Norwegen als bedeutendes Energieland. Die Zuhörer allerdings musste die Norwegerin nicht vom Potenzial ihres Landes als Partner der Energiewende in Deutschland überzeugen. Wer an diesem Tag im Saal saß, brannte darauf, schneller mit gemeinsamen Projekten voranzukommen.
Christian Maaß, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, erklärte zwar die Notwendigkeit, die Dinge zu beschleunigen – Antworten lieferte er allerdings vor allem auf die Frage, warum sich die Dinge eben nicht so schnell entwickeln wie nötig. Bei blauem Wasserstoff gebe es noch immer viele Bedenken. Außerdem stünde immer mehr grüner Wasserstoff zur Verfügung. Maaß erkannte an, dass Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden muss und CCS dafür eine Lösung sei – jedoch herrsche auf diesem Gebiet in Deutschland weiterhin große Skepsis.
In der Diskussion erklärte Maaß, dass ein enger Dialog zwischen Politik und Wirtschaft notwendig sei um die Industrie bei der Umsetzung der Klimaziele nicht zu verlieren. Eine Infrastruktur zur Nutzung Erneuerbarer Energien und nachhaltiger Lösungen könne in Europa nur gemeinsam aufgebaut werden, indem die Standortvorteile jeder Regionen berücksichtigt werden.
NRW und Norwegen auf gutem Weg
NRW ist das Bundesland mit dem größten CO2-Volumen. Für das Land Nordrhein Westfalen sei CCS die größte Sache in der Zusammenarbeit mit Norwegen. Dementsprechend müssten hier Möglichkeiten gefunden werden, um beispielsweise die Chemieindustrie bei der Dekarbonisierung zu unterstützen, erklärte Iris Rieth, Projekt Manager Industrie der Initiative IN4Climate.NRW. Ende April haben Ulf C. Reichardt, Vorsitzender der Geschäftsführung von NRW.Energy4Climate, und Manuel Kliese, Direktor Deutschland, Österreich und Schweiz der staatlichen norwegischen Wirtschaftsförderung Innovation Norway, eine Vereinbarung unterzeichnet, bei der die Nutzung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid sowie das Thema Wasserstoff im Mittelpunkt der Zusammenarbeit stehen. Um die Nutzung und Speicherung von unvermeidbarem Kohlenstoffdioxid voranzutreiben, hat Nordrhein-Westfalen Ende 2021 die „Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen“ veröffentlicht. CO2-Emissionen aus der nordrhein-westfälischen Industrie sollen zukünftig abgeschieden und zunächst in anderen Industriezweigen genutzt oder als letzte Maßnahme gespeichert werden. Die Kooperation mit Norwegen soll dieses Vorhaben unterstützen. Rieth hofft, dass sich auch andere Bundesländer für CCS als Lösung der Dekarbonisierung öffnen. “Eine Akzeptanz dieser Technologie ist der Schlüssel zum Erfolg”, sagte Rieth.


Das Publikum wollte es genauer wissen. Die Fragen richteten sich vor allem an die Bundesregierung. Wenn Norwegen 2029 erstmals aus der Industrie abgeschiedenes CO2 unterirdisch lagern kann – wie schnell kann die deutsche Regierung entscheiden? “Wir brauchen die Diskussionen und müssen die Rahmenbedingungen schaffen”, erklärte Christian Maaß und fügte mutig hinzu: “Noch in dieser Legislaturperiode”.
Wenn blauer Wasserstoff in fünf Jahren wettbewerbsfähig wird – wie kann man ihn einsetzen? “Ich glaube nicht, dass man Wasserstoff überall nutzen wird. Es kann nur Gas und Kohle ersetzen. Heizung kann noch über lange Zeit nur über Heizungspumpen effizienter gestaltet werden“, antwortete Maaß.
Norwegischer Energiekonzern mit über 40 Projekten im Bereich Dekarbonisierung
Im zweiten Panel stellte Grete Tveit, Senior Vice President Low Carbon Solutions des norwegischen Energiekonzerns Equinor ASA, die Klimaziele des Unternehmens und gemeinsame internationale Vorhaben der Dekarbonisierung vor. Equinor ist an über 40 Projekten im Zusammenhang mit der CO2-Abscheidung und -Speicherung beteiligt. Beim größten Projekt, Northern Lights, entwickelt das Unternehmen gemeinsam mit Shell und Total die Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von CO2 auf dem norwegischen Schelf.
Grete Tveit erschien im blauen Kleid. Als Statement für blauen Wasserstoff? Greta lacht und erklärt, dass Equinor sowohl an blauen als auch an grünen Wasserstoff-Projekten arbeitet. In Deutschland ist Equinor unter anderem an der Initiative H2morrow beteiligt. Das Duisburger Stahlwerk der thyssenkrupp Steel Europe AG soll in einigen Jahren mit blauem Wasserstoff versorgt werden und seine Emissionen damit beträchtlich reduzieren. Der norwegische Energiekonzern Equinor, der Gasfernleitungsnetzbetreiber OGE und der Stahlhersteller thyssenkrupp Steel Europe, die sich in der Initiative H2morrow steel zusammengeschlossen haben, um eine entsprechende Wertschöpfungskette aufzubauen, kamen nach Abschluss einer Machbarkeitsstudie im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass eine solche Lösung in Deutschlands größtem Stahlwerk technisch möglich ist. Allerdings sei mit dem Produktionsstart von klimaneutralem Stahl erst ab dem Jahr 2027 zu rechnen. Außerdem müssten für eine endgültige Investitionsentscheidung deutsche und EU-Behörden noch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, teilen die drei Unternehmen mit.
Die CCS-Expertin sprach ein Thema an, das wohl alle Konferenzteilnehmer betrifft: die fehlende Kundschaft. Die Technologien zur Dekarbonisierung ständen zur Verfügung, die Infrastruktur könne schnell aufgebaut werden – allerdings ließen sich kaum Unternehmen finden, die CCS als Lösung ihrer CO2-Probleme sehen und entsprechend aktiv werden.
HeidelbergCement in Norwegen – eine Blaupause für alle
Eine Ausnahme bildet hier der Zementhersteller HeidelbergCement. Das Unternehmen ist am norwegischen Demonstrationsprojekt Langskip als Industirpartner beteiligt, das – mit staatlicher Unterstützung – die Machbarkeit der Abspaltung von CO2 aus Industrieprozessen und die unterirdische Lagerung demonstrieren soll. Neben dem alten Zementwerk in Brevik baut die Tochter des deutschen Zementherstellers, Norcem, die weltweit ersten Anlage zur CO2-Abscheidung und -speicherung (CCS) im industriellen Maßstab. 400.000 Tonnen CO2 sollen jährlich abgeschieden und zur dauerhaften Lagerung transportiert werden. Am 21. Mai wird der erste Teil des Werkes den Betrieb aufnehmen, die erste CO2-Lieferung soll im Juli 2024 erfolgen, erklärt Per Brevik, Director Sustainability and alternative Fuels von HeidelbergCement Norway. Brevik ist das erste Werk dieser Art von HeidelberCement. Auch in anderen Ländern will der Zementhersteller neue Fabriken bauen, um die Klimabelastung zu reduzieren. Immerhin verursache die Zementproduktion heute sechs bis acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, erklärt Brevik. Heidelberg Zement will bis 2030 seinen CO2-Ausstoß um zehn Millionen Tonnen reduzieren.


Das neue Zementwerk in Brevik nutzt die Advanced Carbon Capture TM -Technologie von Aker Carbon Capture an – ein norwegisches Unternehmen, das über langjährige Erfahrungen mit modularen Abscheidungsanlagen bei Gas- und Kohlekraftwerken, Raffinerien und der Zementindustrie verfügt. Yannick Vanderveeven, Head of Communication, stellte die Unternehmen vor, die sich weltweit der Abspaltungstechnologie von Aker Carbon Capture bedienen: Angefangen von HeidelbergCement in Norwegen über die Preem-Raffenerie in Schweden, der Amager Bakke (Skipiste) in Dänemark, MAN Energy Solutions in Deutschland oder ENEL in Porto Tolle in Italien, um nur einige zu nennen. Am 11. Mai hat Aker Carbon Capture offiziell mit dem Bau seiner modularen CO2-Abscheidungsanlage Just Catch™ in der Müllverbrennungsanlage von Twence in Hengelo, Niederlande, begonnen. 2025 will das Unternehmen zehn Millionen Tonnen CO2-Reduzierung unter Vertrag haben.
Linde von Anfang an in Norwegen dabei
Einer der ganz großen Player im Markt der Dekarbonisierung ist natürlich Linde Engineering. Norwegen ist für das Unternehmen ein traditioneller Markt. Die LNG-Anlage auf der Insel Meloyka, die größte Europas, hat der deutsche Linde-Konzern einst gebaut. Der norwegische Düngemittelkonzern Yara hat Linde Engineering Anfang dieses Jahres mit dem Bau und der Lieferung einer 24-MW-Anlage für grünen Wasserstoff in der Ammoniak-Produktionsanlage von Yara im Herøya Industriepark in Porsgrunn beauftragt. Die Anlage soll zeigen, dass Ammoniak, das mit erneuerbarer Energie hergestellt wird, den Ausstoß von Kohlendioxid bei der Düngemittelproduktion verringern kann. Dies wird die zweite von Linde Engineering entworfene und gebaute 24-MW-PEM-Elektrolyseanlage sein. Die erste entsteht derzeit in Deutschland am Chemiestandort Leuna.


Wie Klemens Wawrzinek, Projekt Manager, Business Develompent & Sales erklärte, liefert Linde auch den flüssigem Wasserstoff und installierte das Lager für die in Norwegen gebaute weltweit erste Wasserstoff-Fähre MF Hydra.
Projekte brauchen tragfähiges Geschäftsmodell
Für all diese Vorhaben, die die Referenten auf dem German-Norwegian Industry Forum vorstellten, braucht es eine Finanzierung. Bei den meisten Vorhaben zur Dekarbonisierung steht in Norwegen der Staat mit Fördergeldern an der Seite. Das jedoch könne die Lösung nicht sein. “Es ist mehr als genug Geld für Umwelt-Projekte vorhanden“, erklärte Bjørn Simonsen, CEO der Investmentgesellschaft SAGA PURE. Das Problem: Die Projekte brauchen ein tragfähiges Geschäftsmodell.
Die geringen Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien und die fehlenden Kunden nennt Bjørn Simonsen, der viele Jahre bei dem norwegischen Hydrogenspezialisten Nel ASA beschäftigt war, als das Bottleneck der Branche. “Es gibt eine Giga-Fabrik hier und eine Giga-Fabrik da – das macht alles nur Sinn, wenn ein Markt vorhanden ist.”
Wo ist der Markt? Diese Frage beschäftigte auch die Teilnehmer am Workshop zum Kohlenstoff-Management. “Die Pipelines sind in sechs bis sieben Jahren gebaut. Das Lager ist da, die Erfahrung ist da. Was wir jetzt brauchen ist ein Bedarf, das Commitment der Kunden”, erklärte Ulrik Olbjørn von Equinor Low Carbon Solutions. Wenn die deutschen Unternehmen entsprechend Kohlendioxid liefern würden, könnte Equinor mit der CO2-Speicherung starten.
Philipp Speiser von Air Liquide hielt dagegen. “Wir warten nicht, sondern suchen nach Lösungen, die heute machbar sind”, so der Direktor für Energy Transition Central Europe. Solange keine Pipeline vorhanden ist, werde die Bahn genutzt. In Duisburg will das Unternehmen einen Hub zur CO2-Speicherung aufbauen. So sollen dann auch kleine Unternehmen Zugang haben. Pipelines seien nicht immer die Lösung. Bisher gebe es in Deutschland nicht genug Lager zur CO2-Speicherung. Die Norweger seien den Deutschen im Bereich Dekarbonisierung um eine halbe Schiffslänge voraus.
Das norwegische Unternehmen CO2 Management AS plant ebenfalls einen zentralen Umschlagplatz für den Gastransport beziehungsweise CO2-Transport in Deutschland. Das Projekt soll der deutschen Industrie ab 2024 die Anlieferung des verflüssigten CO2 ermöglichen. Geschäftsführer Torsten Porwoll erinnerte an die vielen Hürden, die zu nehmen sind, bevor flüssiges Kohlendioxid von Deutschland nach Norwegen zur Lagerung gebracht werden kann. So müssten die rechtlichen Grundlagen gegeben und Zertifizierungen vorhanden sein. Zu den Kosten könne heute kaum eine Aussage getroffen werden. Alle Beteiligten müssten lernen, die Kosten zu senken. Um Projekte der Dekarbonisierung umzusetzen, müsste erst einmal viel Energie investiert werden, erklärte Porwoll.
Wie die Vorträge und Gespräche zeigten, haben sowohl deutsche als auch norwegische Unternehmen schon viel Energie in Lösungen zur Erzielung der Energiewende investiert, und sie sind bereit, dies weiter zu tun. Am besten gemeinsam.
Jutta Falkner