
Berlin, 9. Mai 2023. Norwegens Industrieminister Jan Christian Vestre kann sich so ehrlich freuen. Wenn er “Robert” dafür dankt, dass sich die deutsch-norwegischen Beziehungen in den vergangenen Monaten so gut entwickelt haben, dann strahlt er über das ganze Gesicht. Dass der deutsche Wirtschaftsminister dazu beigetragen hat, dass beide Länder nun bereit sind, gemeinsam weiter vorwärts zu marschieren, musste einfach einmal gesagt werden – und zwar auf einer Pressekonferenz während des Besuches einer großen norwegischen Wirtschaftsdelegation in Deutschland. Habeck erwiderte das Kompliment brav, fügte aber gleich hinzu, dass es nicht bestellt war, was Vestre wieder zu einem freundlichen Lachen veranlasste. Norwegens Industrieminister ist ein Sympathieträger, der die Herausforderungen der Energiewende nicht als Last, sondern als Freude empfindet und seine Zuhörer mitreißen kann. Am 9. Mai hatte er in Berlin dazu jede Menge Gelegenheiten, denn das Programm der norwegischen Delegation war prall gefüllt.
Der norwegische Industrieminister wurde auf seiner eintägigen Reise nach Berlin von den Top-Managern der norwegischen Wirtschaft begleitet. Ziel war es, bei Treffen mit deutschen Führungskräften zu diskutieren, wie es um die Umsetzung der Vereinbarung zwischen Deutschland und Norwegen auf dem Gebiet der Grünen Transformation und der Vereinbarung zur Zusammenarbeit im Bereich Wasserstoff bestellt ist. Beide Absichtserklärungen wurden Anfang dieses Jahres beim Besuch von Robert Habeck in Oslo unterzeichnet.
Neben diesen staatlichen Abkommen, die eher allgemeinen Charakter haben, unterzeichneten deutsche und norwegische Unternehmen in den vergangenen Monaten zahlreiche Absichtserklärungen zur Zusammenarbeit bei der Dekarbonisierung, die auf den Aussagen der deutschen und der norwegischen Regierung beruhen. Die Unternehmen haben große Projekte ausgearbeitet, die weit in die Zukunft weisen. Sie haben in Studien investiert und in die Skizzierung von Geschäftsmodellen. Einige haben bereits Fabriken aufgebaut. Die meisten der Unternehmen aber, die gemeinsam Wertschöpfungsketten für Wasserstoff, CCS und Batterienproduktionen aufbauen wollen, haben noch keine Investitionsentscheidungen getroffen. Der Grund: Auf deutscher Seite fehlt der rechtliche Rahmen, um beispielsweise in den Bereichen Wasserstoff und Carbon Capture Storage verlässliche Bedingungen vorzufinden. Die Wirtschaft braucht Beschleunigungsgesetze und eine Risikoabsicherung, wenn es um den Ausbau der Infrastruktur geht. Die Zeit drängt, will Deutschland – nicht zuletzt mit norwegischer Hilfe – seine ambitionierten Klimaziele 2030 erreichen.
Beim ersten Programmpunkt der norwegischen Wirtschaftsdelegation, einem Roundtable im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, erklärte Robert Habeck zwar: „Wir sind nicht mehr in der Phase einer abstrakten Idee, sondern einer konkreten Umsetzung dieser Idee“. Tatsächlich aber liegen noch nicht einmal die beiden Studien vor, die die Machbarkeit der vereinbarten Zusammenarbeit zwischen Norwegen und Deutschland prüfen sollen. Konkret geht es um die am 5. Januar 2023 in Oslo gemeinsam bekräftigte Absicht, bis 2030 eine großflächige Versorgung Deutschlands mit Wasserstoff zu ermöglichen und die dafür notwendige Infrastruktur von Norwegen nach Deutschland aufzubauen, also unter anderem eine Pipeline sowohl für Wasserstoff als auch für Kohlendioxid, wozu auch eine Infrastruktur innerhalb Deutschlands gehört. Denn was nutzt die Anlieferung von Wasserstoff per Pipeline aus Norwegen, wenn dieser nicht im Lande oder in die Nachbarländer verteilt werden kann?
Bevor die Bäume in der Diskussion im grünen Wirtschafts- und Klimaministerium in den Himmel wachsen konnten und der grüne Wasserstoff als der Heilsbringer Deutschlands die Diskussion bestimmte, stellte Mario Mehren, CEO des Öl- und Gaskonzerns Wintershall Dea, erst einmal klar: „Versorgungssicherheit braucht Elektronen und Moleküle – neben erneuerbarem Strom zunächst noch Erdgas und dann große Mengen Wasserstoff – sowie die Speicherung von CO2. Wir brauchen eine Vielzahl an emissionsarmen Technologien, um die Klimaziele zu erreichen.“ Wintershall Dea setzt sich für die Produktion von emissionsarmen Wasserstoff aus norwegischem Erdgas in Deutschland ein – und für die CCS-Technologie, die Abspaltung von Kohlendioxid und die Speicherung von CO2 unter dem Meeresboden in Norwegen. Dafür hat das Unternehmen bereits Lizenzen von der norwegischen Regierung erhalten. Ein “Go” von deutscher Seite, das den Export von CO2 erlaubt, gibt es noch nicht. Verständlich, dass sich Wintershall in anderen Ländern nach Kunden umschaut und dort auch findet.
Das norwegische Unternehmen Aker Horizons und der Leipziger Energieversorger VNG unterzeichneten am Rande der Veranstaltung einen Letter of Intent zur Lieferung von grünem Ammoniak nach Deutschland. Ein solches Projekt erwärmt zweifellos das Herz des grünen Wirtschaftsministers. Eine noch zu bauende Anlage in Narvik soll ab 2028 grünen Ammoniak produzieren, der von Norwegen zu Terminals in Deutschland verschifft werden soll. VNG will das Ammoniak beziehungsweise den Wasserstoff von dort weiter an seine Kunden verteilen, die es zur Dekarbonisierung ihrer Geschäftsaktivitäten einsetzen. Ob Norwegen bis 2028 tatsächlich genügend sauberen Strom besitzt, um ihn zur Umwandlung in Ammoniak zu verwenden, der exportiert werden soll, bleibt dahingestellt. Immerhin liegen Studien vor, die Norwegen eine Stromknappheit ab 2027 voraussagen.
Um sauberen, das heißt grünen Wasserstoff, ging es auch beim Besuch von Habeck und Vestre bei Siemens Energy in Berlin. Hatte der norwegische Industrieminister seinen Kollegen bei dessen Visite im Januar dieses Jahres in Norwegen zur Produktionsanlage von Nel ASA geführt, einen der größten Hersteller von Elektrolyseuren für grünen Wasserstoff, so präsentierte Habeck seinem norwegischen Kollegen mit Siemens Energy nun ebenfalls einen führender Elektrolyseur-Produzenten.
Sowohl der norwegische als auch der deutsche Elektrolyseur-Hersteller können auf eine lange Tradition im Bereich Wasserstoff zurückblicken. Die Produktion von Elektrolyseuren haben beide im Zuge der grünen Wende erst kürzlich aufgenommen, und beide Unternehmen haben ein leuchtendes Lila (purple) als Farbe für ihre Corporate Identity ausgewählt. Ihre Auftragsbücher sind voll, die Kosten sind hoch. Nicht nur ist Wasserstoff aus erneuerbarer Energie zu teuer, um heute schon im breiten Maßstab eingesetzt zu werden – er ist eigentlich noch gar nicht vorhanden. Etwa ein Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs wird mit sauberer Energie hergestellt. Aber der Glaube an grünen Wasserstoff als wichtigen Baustein zur Energiewende ist hoch. So konnten Håkon Volldal, CEO von Nel, und Christian Rynning-Tønnesen, CEO von Statkraft AS, den beiden Ministern in Norwegen stolz berichten, dass der norwegische Energiekonzern Statkraft 40 MW alkalischer Elektrolyseur-Ausrüstung bei Nel gekauft hat. Die Elektrolyseur-Stacks werden in der Produktionsanlage von Nel in Herøya hergestellt und für die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff in einem der zahlreichen Wasserstoffprojekte von Statkraft verwendet. Statkraft, der die Wasserkraftwerke in Norwegen betreibt und damit Europas größter Lieferant erneuerbarer Energien ist, will seine Stromproduktion jährliche um vier GW steigern und bis 2030 zwei GW erneuerbare Wasserstoffproduktion hinzuzufügen.

Siemens Energy startete in diesem Jahr im Siemens-Turbinenwerk in Berlin mit der Elektrolyseur-Produktion. Die Kapazität soll bis 2025 auf drei Gigawatt hochgefahren werden. Habeck und Vestre hörten sich geduldig an, wie Wasserstoff entsteht und wie Wasserstoff zur Dekarbonisierung beitragen kann. Bei der Besichtigung der Turbinenhalle freute sich der norwegische Industrieminister besonders über die Information, dass die Kraftwerksturbinen sowohl mit Gas als auch mit einem Anteil von grünem oder blauem Wasserstoff wie am Schnürchen laufen. Schließlich will Norwegen in Deutschland auch eine Rolle bei der Umrüstung von Kohle- in Kraftwerke spielen, die mit Gas betrieben werden, aus denen CO2 weitgehend entfernt wurde. “Besser blauer Wasserstoff als weiterhin Kohle zu verbrennen”, kommentierte Habeck diesen Einsatz von Erdgas aus Norwegen in Deutschland.
Im Anschluss an die Tour durch das Siemens-Werk erläuterte Vestre, wie der öffentliche Sektor die Unternehmen bei der grünen Umstellung unterstützen kann. Insbesondere sollten Gelder in Forschung und Entwicklung fließen. Außerdem müssten Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Um die Stromproduktion in Norwegen zu erhöhen, werde die Windenergie kräftig ausgebaut. Es gebe massive Investitionen in den Ausbau der Übertragungsnetze. Außerdem würde die Wasserstoff-Produktion erhöht. Ein Problem seien fehlende Produktionskapazitäten. „Die grüne Zukunft ist eine bessere Zukunft“, erklärte der Wirtschaftsminister. Das dürfe man bei allen Herausforderungen nicht vergessen.
Ole Erik Almlid, CEO der norwegischen Unternehmerorganisation NHO, zeigte sich fasziniert von dem Besuch bei SiemensEnergy. „Die Frage aller Fragen für die norwegischen Firmen ist: Wie können wir Teil der Wasserstoff-Wertschöpfungskette in Deutschland werden?“, erklärte Almlid. Norwegen sei zwar ein kleines Land – aber viele Unternehmen seien führend auf ihrem Gebiet. Siemens Norge gehöre dazu. Von norwegischer Seite könne er als Vertreter von 33.000 Unternehmen nur erklären: „Wir sind bereit.”
Jutta Falkner
Norwegische Teilnehmer an der Round-Table-Konferenz zum Thema Wasserstoff
Torger Rød, Geschäftsführer Vår Energi
Irene Hummelhoff, EVP Equinor
Christian Rynning-Tønnesen, CEO von Statkraft
Kristian Røkke, CEO von Aker Horizons
Knut Nyborg, CEO von Aker Horizons Asset Mgmt.
Svein Tore Holsether, CEO von Yara
Frode Leversund, CEO Gassco
Per Christian Eriksen, CEO von Hydro Havrand
Michael Zechner, CEO Wintershall Dea Norwegen
Norwegische Teilnehmer an der Round-Table-Konferenz zum Thema Batterie und Rohstoffe
Stian Madshus, stellvertretender CEO und Entwicklungsleiter, Vianode
Lars Christian Bacher, CEO, Morrow
Pål Brun, EVP Corporate Affairs, Morrow
Svein Kvernstuen, CEO, Beyonder
Tilo Hauke, EVP Supply Chain Management, Freyr
Jonathon Milne, VP Beschaffung, Freyr
Erik Sauer, CEO, Cenate
Eli Aamot, Executive Vice President, Sintef-Industrie