Niedersachsen mit der größten Wirtschaftsdelegation aller Zeiten in Norwegen

Über 40 Unternehmensvertreter begleiteten den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil auf seiner Reise nach Norwegen.Im Bild die Delegation vor dem Produktionsgebäude der NEL ASA im Industriepark Herøya.©Hilsen Per-Åge Eriksen

Oslo, 22. Mai 2023. Vom 21. bis 23. Mai statteten der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies Norwegen einen Besuch ab, begleitet von mehr als 40 Unternehmensvertretern. Ziel der Reise war die Vertiefung der deutsch-norwegischen Energiepartnerschaft. Insbesondere warb Weil für den Bau einer Wasserstoff-Pipeline zwischen Deutschland und Norwegen. Wohl kein anderes Bundesland kann von einer solchen Verbindung so stark profitieren wie Niedersachsen. 

Den ersten Abend in Oslo verbrachte die Delegation auf dem Elektroschiff BRIM. Während Botschafter Detlef Wächter die Unternehmensvertreter begrüßte, fuhr das Schiff am Leuchtturm-Inselrestaurant Dyna Fyr vorbei – ein beliebtes Fotomotiv. Der Botschafter hatte vollstes Verständnis, dass es niemanden mehr auf den Plätzen hielt.©BPN

Norwegen ist en Vogue. Delegationen aus Politik und Wirtschaft geben sich in Oslo die Klinke in die Hand. Allein in der Woche vom 22. bis 26. Mai besuchten vier Gruppen das Land. Michael Kern, Geschäftsführer der AHK Norwegen, begleitet fast jede dieser Besuchergruppen. Oft organisiert die Deutsch-Norwegische Auslandshandelskammer auch die Touren durch die Institutionen und Unternehmen. Auch für die Wirtschaftsdelegation aus Niedersachsen, die Ministerpräsident Weil im Schlepptau hatte, machten Kern und sein Team die Termine, unterstützt von der IHK Hannover. Es war die größte Besuchergruppe aus Deutschland, die bisher in Norwegen aufschlug. Thema der Reise war – wie bei fast allen Delegationen – die Zusammenarbeit im Energiebereich. “Wir haben drei Schwerpunkt für unsere Reise ausgewählt“, sagte Weil beim Begrüßungsempfang auf dem elektrischen Ausflugsschiff Brim. “Energie, Energie, Energie.” Es gehe um die deutsch-norwegische Energiepartnerschaft und um Chancen für niedersächsische Unternehmen. Botschafter Detlef Wächter erklärte, die Förderung fossiler Rohstoffe sei langfristig ein Auslaufmodell. Wasserstoff und CCS seien die Bereiche, die in der grünen Umstellung des Landes eine Rolle spielen. Und Michael Kern ergänzte: “In den  Bereichen Offshore-Wind, Wasserstoff und CCS bestehen für deutsche Unternehmen besonders große Chancen, weil diese Industrien erst aufgebaut werden müssen.”

In Deutschland ist Wasserstoff, insbesondere der grüne, also aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff, der Stoff, aus dem die Träume sind. Ministerpräsident Weil hat konkrete Erwartungen an Norwegen, die er in einem Satz zusammenfasst: “Dass die Pipeline für Wasserstoff nach Deutschland gebaut wird, und zwar mit Anlandung in Wilhelmshaven.” Bei seinen Gesprächen mit dem norwegischen Ministerpräsidenten, dem Energieminister und der Außenministerin warb er konkret für diese Verbindung. Damit freilich trug er Eulen nach Athen. Norwegens Regierung wird nichts lieber tun, als dieses Projekt, das in einer Gemeinsamen Erklärung zwischen dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck und dem norwegischen Industrieminister Jan Christian Vestre Anfang dieses Jahres vereinbart wurde, so schnell wie möglich umzusetzen. In Wilhelmshaven haben sich bereits viele Firmen angesiedelt, die Investitionspläne im Bereich Wasserstoff verfolgen. 32 Unternehmen der Region sowie Institutionen haben sich zu einem Netzwerk ENERGY-Hub Port of Wilhelmshaven zusammengeschlossen, um die Region im Norden Deutschlands zu einem Energie-Hub für ganz Europa zu machen. 

Zu jeder Delegationsreise gehört eine Vertragsunterzeichnung. In Oslo vereinbarten am Rande des Empfangs in der Residenz des Botschafters Stephan Barth, Managing Director des
ForWind – Center for Wind Energy Research (r.), und John Olav Tande
, Direktor des norwegischen Forschungszentrum NorthWind, eine Vertiefung der Zusammenarbeit. V.l.: Detlef Wächter, Deutscher Botschafter in Oslo, Staatssekretär Joachim Schachtner, Ministerpräsident Stephan Weil und Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung©BPN

Auf der Liste der Delegationsmitglieder waren viele dieser Firmen zu finden – Experten rund um den Wasserstoff, Vertreter von Firmen, die die Infrastruktur in Deutschland für diesen völlig neuen Industriezweig schaffen und die Leitungen bauen wollen, und Manager, deren Firmen den Wasserstoff nutzen wollen, um selbstgesteckte Umweltziele zu realisieren. Sie warten auf das “Go” zur Herstellung, zum Transport und zur Nutzung des Wasserstoffs. Das allerdings muss nicht von norwegischer Seite kommen, sondern von deutscher. Ministerpräsident Weil unterstützt die Forderungen seiner niedersächsischen Unternehmen, wo er kann. Die Entscheidungshoheit über den Bau der Pipeline allerdings liegt in Berlin. Immerhin sollen, so steht es in der oben genannten Gemeinsamen Erklärung, bis 2030 Wasserstofflieferungen in großem Umfang von Norwegen nach Deutschland erfolgen und die notwendige Infrastruktur hierfür sichergestellt werden. Entsprechende Machbarkeitsstudien sollten im Mai vorliegen. 

Die niedersächsischen Unternehmen, und nicht nur diese, wollen von den staatlichen Plänen, ambitionierten Klimazielen und Förderprogrammen profitieren. Aber sie werden nervös. 2030 kommt schneller, als man denkt. So will der Pipeline-Betreiber Gasunie Deutschland GmbH & Co. KG, Hannover, bis 2028 zwei Pipelines für den Transport von Wasserstoff vorbereitet haben – ohne staatliche Garantien werden Unternehmen die riesigen Summen aber nicht in die Hand nehmen. Helmi Botter, Manager Business Development Hydrogen, kritisiert, dass ständig geredet und damit Zeit verschwendet wird mit Absichtserklärungen und Powerpoint-Präsentationen. Wenn ihr Unternehmen zwei Jahre später starten muss, seien die Pipelines bis 2030 noch nicht einsetzbar. Das gehe nicht nur zu Lasten der Klimaziele – auch die Kunden könnten ihr Interesse am Wasserstoff verlieren.

Der erste Programmpunkt der Wirtschaftsdelegation beim norwegischen Energiekonzern Equinor AS bestätigte die Unternehmen in der Annahme, dass Deutschland Boden verlieren könnte, wenn Berlin bezüglich der Schaffung von Rahmenbedingungen für die Wasserstoff-Industrie inklusive der Risikobeteiligungen an einzelnen Projekten nicht aus den Puschen kommt. 

Der Firmensitz des Energiekonzerns Equinor in Forneby bei Oslo.©BPN

Equinor ist der größte Gaslieferant Europas. Der Konzern tut das Eine, ohne das Andere zu lassen: Er fördert weiterhin kräftig fossile Rohstoffe und baut parallel Offshore-Windanlagen weltweit. Die Vizepräsidenten der einzelnen Bereichen präsentierten den deutschen Managern die Unternehmensstrategie im Bereich der Öl- und Gasproduktion, erklärten die Preisbildung bei den fossilen Rohstoffen und zeigten, was in den Bereichen CCS und erneuerbare Energien geplant und was bereits umgesetzt ist. Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies erklärte den Equinor-Vertretern und den deutschen Unternehmen noch einmal, warum man nach Norwegen gereist ist: “Wir wollen mehr von Norwegen lernen über die karbonfreie Zukunft”, sagte der Minister. Norwegen und Niedersachsen arbeiten seit vielen Jahren im Energiebereich zusammen. In Niedersachsen landen die zwei Gaspipelines aus Norwegen an, in Niedersachsen stehen die Gasspeicher des norwegischen Unternehmens. Und hier will die Landesregierung gemeinsam mit Norwegen einen Hub für Energiesicherheit einrichten. Der Aufbau der Infrastruktur sei der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende, so Lies  – auch der Bau einer CCS-Pipeline gehöre dazu. Was Olaf Lies nicht erwähnte: Anfang Mai hatten Vertreter des ENERGY HUB Port of Wilhelmshaven dem Minister ihr Leid geklagt: Selbst wenn die Pipeline von Norwegen nach Wilhelmshaven 2030 betriebsbereit sei – die Infrastruktur in Deutschland sei es nicht, wenn die Unternehmen nicht bald starten könnten. Wohin mit dem norwegischen Wasserstoff, wenn er 2030 tatsächlich in Wilhelmshaven ankommt? Die entsprechenden Rahmenbedingungen zum Bau neuer Leitungen sowie Zusagen für Bürgschaften müssten jetzt – bis Ende des Jahres – vorliegen. 

Equinor-Vizepräsidentin Grete Treit, zuständig für den Bereich CCS, pflichtete den deutschen Unternehmensvertretern bei. Equinor will 2050 Zero Null erreichen. Dazu brauche es ein optimales Öl- und Gasportfolio, denn erstens werde auch in 27 Jahren noch Öl- und Gas gebraucht und zweitens seien die Einnahmen aus dem Geschäft mit den fossilen Rohstoffen notwendig, um die Investitionen in die Dekarbonisierung zu stemmen. Zehn Milliarden US-Dollar investiert das Unternehmen jährlich in den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Abscheidung von Kohlendioxid. Während Deutschland noch nicht einmal den Export von CO2 genehmigt hat, realisiert Norwegen mit dem Vereinigten Königreich das erste CCS-Pilotprojekt. Interessant dabei sei nicht die CO2-Abspaltung von Erdgas oder die Lagerung – das mache Norwegen seit Jahren. Neuland für Equinor sei der Transport von Kohlendioxid und Wasserstoff über lange Distanzen.

Grete Treit zog den Deutschen den Zahn, dass es sich bei der Zulieferung von Wasserstoff um grünen Wasserstoff handeln würde. Gegenwärtig werden in Norwegen gerade erst die Kapazitäten für grünen Wasserstoff aufgebaut – zumindest sind die Elektrolyseure für ein erster Werk bestellt. Wenn in Norwegen von Wasserstoff die Rede ist, ist das blauer Wasserstoff, also aus Erdgas hergestellter Wasserstoff, von dem das Kohlendioxid abgeschieden wurde. Im Januar dieses Jahres vereinbarte das Unternehmen mit dem deutschen Energiekonzern RWE die Schaffung einer groß angelegte Wertschöpfungsketten für CO2-armen Wasserstoff– sprich Wasserstoff aus Erdgas. Die Vereinbarung beinhaltet die Umstellung von Kohlekraftwerken in Deutschland, aber auch den Neubau von Gaskraftwerken. “Erst, wenn kein blauer Wasserstoff mehr verfügbar ist, weil es kein Gas mehr gibt, von dem Kohlendioxid abgespalten werden kann, wird in Norwegen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien hergestellt werden”, erklärte Grete. “Und dafür brauchen wir sehr viel Windenergie.”

Trine Borum Bojsen, Leiterin des Bereiches Erneuerbare Energien, berichtete, wie und wo Equinor heute schon im Windgeschäft präsent ist. “Wir haben Appetit und die Möglichkeit zu investieren”, erklärte Borum Bojsen. Was sie den deutschen Unternehmern nicht verriet: Just an dem Tag, an dem sie diesen Satz sagte, legte ihr Unternehmen den Bau eines der größten Offshore-Windparks auf Eis. Im Juni vergangenen Jahres hatte Equinor erstmals die Pläne für einen schwimmenden Offshore-Windpark vor der Küste Westnorwegens vorgestellt. Er sollte Strom für die Öl- und Gasfelder Troll und Oseberg liefern und auch an Land an das Stromnetz angeschlossen werden. Das Trollvind-Projekt war mit einer Leistung von einem Gigawatt geplant und sollte damit jährlich etwa 4,3 Terawattstunden (TWh) Strom liefern, etwa drei Prozent der aktuellen Stromproduktion Norwegens von rund 146 TWh im vergangenen Jahr. In diesem Jahr sollte die Investitionsentscheidung für den Bau des Windparks fallen und 2027 sollten sich die Windräder drehen. Equinor hatte erklärt, das Vorhaben allein stemmen zu können, also ohne fremde Finanzmittel. Durch die veränderte Weltlage – konkret gestiegene Kosten – bekommt das Unternehmen nun kalte Füße.” Equinor war davon ausgegangen, dass für den Bau des Windparks keine finanzielle Unterstützung notwendig sei. Das steht nun in Frage. “Es ist kein kommerziell nachhaltiges Projekt mehr”, erklärt Equinor. 

Equinor hat großes Interesse daran, am Ausbau der Windkraft in Deutschland mitzuarbeiten. Deutschland sei ein interessanter Markt für Equinor, sagt Borum Bojsen. Fragt sich nur, wer die Windprojekte bezahlen soll, wenn schon ein Konzern wie Equinor den Bau eines Offshore-Windparks nicht mehr als kommerzielles nachhaltiges Projekt sieht. 

Die deutschen Unternehmen hatten viele Fragen an die Equinor-Vertreter: Werden Pipelines den Preis für Wasserstoff und CO2 reduzieren? Welche Erwartungen hat Equinor an die Regierung bezüglich der Finanzierung seiner Projekte im Bereich Erneuerbarer Energien? Wo sollen die 7.000 bis 8.000 Windräder stehen, die in Norwegen gebaut werden sollen? Wie und wo soll grüner Wasserstoff produziert werden? Woher kommen die Zulieferungen für die Windkrafträder? Gibt es Vorschriften für den Anteil lokaler Zulieferungen? Gibt es genug Energie im Norden, um alle Projekte umzusetzen? Worin besteht das Business-Modell einer CO2-Pipeline nach Deutschland? Und last but not least: Tut Deutschland genug, um die Energiewende voranzutreiben? Grete Treit wünscht sich hier mehr Geschwindigkeit und konkrete Rahmenbedingungen.  “Wenn die Wasserstoffleitung 2030 in Betrieb gehen soll, muss die Investitionsentscheidung 2025 fallen. Dafür brauchen wir eine enge  Zusammenarbeit mit der Industrie. Wir brauchen mehr Kunden und Zusicherungen der Regierung.”

Bei einem Termin mit dem Klassifizierungs- und Zertifizierungsunternehmen DNV wurden die deutschen Manager von CEO Remi Eriksen und Ulrike Hauge, Kommunikationschefin von DNV und Präsidentin der AHK Norwegen, begrüßt. DNV begleitet zahlreiche Projekte im Bereich Erneuerbare Energien, vor allem im maritimen Bereich. Die Studien, die im Hause entstehen, zeigen, wie sich der Transport, die Wasserstoffproduktion, die Windkraft oder der CO2- Ausstoß unter welchen Bedingungen entwickeln werden. Ihr Green Shipping Programm, eine öffentlich-private Partnerschaft, zielt darauf ab, die maritimen Strategien und Pläne der norwegischen Regierung voranzutreiben. Die Vision des Programms besteht darin, in Norwegen die effizienteste und umweltfreundlichste Schifffahrt der Welt zu etablieren. Im Frühjahr 2023 waren mehr als 108 private Unternehmen und Organisationen sowie zwölf öffentliche Beobachter am Programm beteiligt. Das Green Shipping-Programm wird teilweise durch öffentliche Zuwendungen aus dem norwegischen Staatshaushalt und teilweise durch die Mitglieder selbst finanziert. Unter anderem definieren die DNV-Experten grüne Korridore auf dem Meer. Auch die Color-Line-Fähre zwischen Kiel und Oslo soll auf Null-Emissionen umgestellt werden, beispielsweise mit Ammoniak als Kraftstoff. Auch hier mahnten die Referenten die Schaffung politischer Rahmenbedingungen für einen grünen Korridor zwischen Deutschland und Norwegen an. “Bevor wir einen grünen Korridor zwischen Deutschland und Norwegen schaffen können, muss erst der politische Rahmen vorhanden sein”, sagt Narve Mjøes. zuständig bei DNV für das Programm.

Im Industriepark Herøya produziert NEL ASA Elektrolyseure. Gegenwärtig ist eine Produktionslinie mit einer Kapazität von 500 MW/Jahr in Betrieb. Mit einer zweiten Linie wird sich die Produktionskapazität für alkalische Elektrolyseur-Stacks auf ein GW verdoppeln.©BPN

Zwei Stunden Fahrtzeit nahmen die deutschen Manager in Kauf, um die beiden Unternehmen zu besuchen, die auf keiner Programmliste ausländischer Wirtschaftsdelegationen fehlen: Nel ASA und Heidelberg Materials. Im Industriepark Herøya in Porsgrunn produziert der Wasserstoff-Spezialist Nel Elektrolyseure, in Brevik baut Heidelberg Materials die weltweit erste CO2-Abspaltungsanlage der Zementindustrie. 

Nels Werk in Herøya wurde im April vergangenen Jahres eröffnet und ist nach Aussagen des Unternehmens die weltweit erste vollautomatisierte Fabrik zur Herstellung von Elektrolyseuren. Die Roboter kommen von Kuka aus Deutschland, die Software liefern norwegische Firmen. Vorerst arbeitet hier eine Produktionslinie mit einer Kapazität von 500 MW/Jahr. Demnächst wird eine zweite Linie in Betrieb genommen. Damit wird sich die Produktionskapazität für alkalische Elektrolyseur-Stacks auf ein GW verdoppeln. Platz für weitere Anlagen mit einer Kapazität von zwei GW ist vorhanden. Eine weitere Gigafabrik soll in Michigan in den USA entstehen. Die Aufträge des Unternehmens kommen vor allem aus den USA. General Motors hat Nel als strategischen Partner zur Beschleunigung der Industrialisierung der Elektrolyseurplattform mit Protonenaustauschmembran (PEM) auserkoren. Aber auch aus Deutschland gibt es Interesse an den Elektrolyseuren aus Norwegen. Der Deutsche Thorsten Herbert, Director Market Development and Public Affairs, stellt der Delegation das Unternehmen vor. Es ging aus dem einstigen Wasserstoff-Riesen Norsk Hydro hervor, der bereits 1927 die erste kleine Elektrolyseuranlage in Notodden baute. Der Wasserstoff wurde für die Düngemittelproduktion verwendet. 1940 ging die weltweit größte Installation von Elektrolyseuren in Rjukan in Betrieb. 

Seit 2014  ist das Unternehmen an der Osloer Börse gelistet. Aktionäre sind vor allem Finanzinstitute. „Unsere Anleger vertrauen uns”, erklärt Thorsten Herbert den deutschen Unternehmen. Nel gehört aber auch zu den Lieblingen der deutschen Kleinanleger. 

Die Auftragsbücher sind voll gefüllt. Der norwegische Energiekonzern Statkraft hat kürzlich 40 MW alkalische Elektrolyseure bei Nel in Auftrag gegeben. Die Elektrolyseure werden in der Produktionsstätte von Nel auf Herøya hergestellt und für die Erzeugung von grünem Wasserstoff in einem der zahlreichen Wasserstoffprojekte von Statkraft eingesetzt. Damit soll eine starke Wertschöpfungskette für die Produktion von grünem Wasserstoff in Norwegen geschaffen werden. „Wir sind entschlossen, Norwegen zu einem führenden Hersteller von grünem Wasserstoff zu machen und ein Ökosystem von Elektrolyseuren und Anbietern von Ausrüstung aufzubauen“, werden Håkon Volldal, CEO von Nel, und Christian Rynning-Tønnesen, CEO von Statkraft, in einer Pressemitteilung anlässlich der Vertragsunterzeichnung beim Besuch von Robert Habeck im Nel-Werk zitiert.  

Unter den Besuchern bei Nel war auch Matthias Authenrieht, Geschäftsführer der Fest GmbH, Goslar, ebenfalls ein Hersteller von  Wasserstoff-Elektrolysen. Während Nel die großen Kapazitäten im Auge hat, sieht Fest in Elektrolyseuren in Containerbauform mit einer Kapazität von bis zu 30 MW einen interessanten Markt. Vier Anlagen mit einer Leistung von 3 MW hat das Unternehmen bereits verkauft. Die vierte Anlage ging an die Norwegian Hydrogen AS. Sie wird im norwegischen Hellesylt am Geiranger Fjord installiert. Ab 2026 dürfen hier, in einem der schönsten Fjorde Norwegens und Teil des UNESCO-Kulturerbes, nur noch emissionsfreie Schiffe einfahren. An der Tankstelle, die Norwegian Hydrogen AS mit den Anlagen aus Deutschland einrichtet, können die Schiffe Wasserstoff  tanken. Fest liefert neben der Elektrolyse auch Kompressoren, Speicher, Kälteaggregate und Zapfsäulen. Noch in diesem Jahr soll die Tankstelle in Betrieb gehen. 

Für Matthias Authenrieht ist dieser Vertrag ein klarer Beleg dafür, dass sich der Markt für Wasserstoff formiert. Und er freut sich natürlich besonders, dass nicht Nel den Zuschlag für die Anlagen erhielt, sondern sein Unternehmen. 

Die Baustelle für eine CO2-Abscheidungsanlage bei Heidelberg Materials in Brevik ist vorbereitet, die Anlagen liegen bereit. Im Oktober 2024 soll das erste Kohlendioxid per Schiff zur Lagerung unter dem Meeresboden transportiert werden.©BPN

In Brevik bei Heidelberg Materials gibt es eine Baustelle zu besichtigen. Die Katalysatoren, Boiler und anderes Equipment für den Neubau zur Abspaltung des Kohlendioxids, das im Produktionsprozess von Zement zuhauf anfällt, liegen bereit, in den nächsten Monaten eingebaut zu werden. Auch MAN Energy Solutions Berlin gehört zu den Zulieferern. Das Tochterunternehmen des deutschen Zementkonzerns wurde für die erste CO2-Abscheidungsanlagen ausgesucht, weil es die Möglichkeit hatte, in das CCS-Pilotprojekt Langskip der norwegischen Regierung eingebunden zu werden. Der norwegische Staat übernimmt einen Großteil der Kosten zum Aufbau des Werkes. Bei einem zweiten staatlichen Carbon Capture-Storage-Projekt in Norwegen bereitet die Finanzierung Probleme. Das Abfall-Aufbereitungswerk in Klementsrud bei Oslo gehört zu den auserwählten Unternehmen, die neben Heidelberg Materials in das Pilotprojekt der norwegischen Regierung Northern Lights einbezogen wurde. Aber hier liefen die Kosten davon – ähnlich wie beim Windpark Troll. Das Vorhaben wird erst einmal verschoben, bis das Parlament über einen höheren Kostenzuschuss entscheidet. 

Northern Lights, ein Joint Venture zwischen Equinor, Shell und Total Energy, wird den Transport und die Lagerung des CO2 von Heidelberg Materials übernehmen. Im Oktober 2024 soll das erste Kohlendioxid aus Brevik per Spezialschiff zum Terminal nach Øygarden bei Bergen geliefert werden, dem norwegischen Terminal, von dem aus künftig das CO2 aus ganz Europa unter dem Meeresboden verpresst werden soll. Dort warten zwei Löcher darauf, das CO2 in 2.600 Meter Tiefe zu versenken. Yara Sluiskil, eine Ammoniak- und Düngemittelfabrik in den Niederlanden, Tochter des norwegischen Düngemittelkonzerns Yara, wird der erste kommerzielle Kunde sein. Am 15. Mai unterzeichnete Northern Lights ein CO2–Transport- und Dienstleistungsabkommen (TSA) mit dem dänischen Unternehmen Ørsted . Auch das sei ein wesentlicher Schritt zur Schaffung eines kommerziellen Marktes für CCS in Europa, teilt das Unternehmen mit. Während der Export von CO2 aus deutschen Landen noch immer verboten ist, entwickelt sich um Deutschland herum ein neuer Markt. „Die Vereinbarungen mit Yara Sluiskil und mit Ørsted zeigen das kommerzielle Potenzial von CCS. Der Markt für den Transport und die Speicherung von CO2 entwickelt sich schnell“, erklärt Børre Jacobsen, Geschäftsführer von Northern Lights den deutschen Delegationsmitgliedern. Wenn diese erste Phase abgeschlossen ist, gehe es darum, den Transport und die Lagerung als kommerzielles Business zu etablieren. Dann müsse die Nachfrage das Geschäft am Laufen halten.

Zum Abschluss seines Aufenthaltes in Norwegen kündigte Ministerpräsident Stephan Weil für die Hannover Messe im April 2024 eine deutsch-norwegische Energiekonferenz mit dem Schwerpunktthema Wasserstoff an. Noch eine Gelegenheit zum Diskutieren. Aber im Bundesland Niedersachsen wird auch gehandelt. „Norwegen und Deutschland und insbesondere Niedersachsen blicken gemeinsam auf eine vielversprechende Zukunft. Wir haben hier gemeinsame Ziele, nämlich schneller klimaneutral zu werden und dabei trotzdem eine stabile Industrie und Wirtschaft in unserem Land erhalten. Was aber auch bei allen Gesprächen ganz deutlich wurde: all diese Bemühungen werden zunächst viel Geld kosten. Damit unsere Unternehmen die notwendigen Investitionen stemmen können, brauchen wir gerade auch im Übergang, bis wir von günstigeren Strompreisen aus Erneuerbaren profitieren, Lösungen in Form von günstigeren Preisen. Hier haben wir als Land vor zwei Wochen konkrete Vorschläge gemacht, die erfreulicherweise in Teilen auch schon von der Bundesregierung aufgegriffen wurden.“

Zumindest hat man in Niedersachsen die Probleme der Unternehmen, die sich im Bereich Wasserstoff und CCS engagieren wollen, verstanden. Ob günstigere Energiepreise Teil der Lösung sind, bleibt abzuwarten. Viel gelernt über eine karbonfreie Zukunft haben die Delegationsmitglieder in Norwegen allemal. Zum Beispiel, dass sich die Märkte für Wasserstoff und CCS trotz aller Unzulänglichkeiten Schritt für Schritt entwickeln.

Jutta Falkner

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