Wasserstoff – eine norwegische „Zeitenwende“?

Von Torgeir Larsen, Norwegens Botschafter in Berlin

Deutschland sieht Norwegen als Wasserstofflieferanten, wenn das Erdgas zu Ende geht. Die norwegische Industrie rüstet auf, aber der deutsche Wasserstoffzug fährt – mit oder ohne norwegischem Wasserstoff.

Als der deutsche Minister für Wirtschaft und und Klima, Robert Habeck, Norwegen besuchte, erschienen in den deutschen Medien viele Beiträge über Norwegen als Lieferant von Wasserstoff und über die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Doch in Norwegen löste der Besuch eine Debatte für und wider von Wasserstoff als Energieträger aus. Diese Debatte wird in Deutschland nicht geführt – nicht in den Parteien, nicht in der Industrie und auch nicht in der Umweltbewegung.

Wasserstoff ist für die Deutschen der Weg zur Klimaneutralität und zur grünen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Die Botschaft von Habeck war dann auch klar: Norwegischer Wasserstoff ist erwünscht, aber der Zug fährt, und auch andere Länder können liefern. Dennoch ist die Aufmerksamkeit, die das vereinbarte Wasserstoff-Paket aus Norwegen in den deutschen Medien gefunden hat, überwältigend.

Equinor und die deutsche RWE unterzeichneten eine Vereinbarung über die Umstellung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff, die Produktion von Wasserstoff in Norwegen, den Export via Pipeline nach Deutschland und die gemeinsame Entwicklung von Offshore-Windparks. Statkraft und die deutsche HH2E präsentierten ihre Vereinbarungen mit der norwegischen Nel über den Kauf von Elektrolyseuren für Wasserstofffabriken in mehreren europäischen Ländern. Gleichzeitig gaben die norwegische und die deutsche Regierung bekannt, dass nach einer gemeinsamen Machbarkeitsstudie, die im Mai vorgelegt wird, eine Entscheidung über eine Wasserstoff-Pipeline zwischen Norwegen und Deutschland getroffen wird.

In Norwegen geht es vor allem um Strom und weniger um Wasserstoff als Energieträger. Aber wo die europäische Industrie mit Gas betrieben wird, dreht sich die Zukunft um Wasserstoff – vorerst um sogenannten blauen Wasserstoff, der aus Gas mit CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologie hergestellt wird, später mehr um grüner Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie entsteht.

Wenn Norweger ein Windrad auf dem Meer sehen, denken sie an Strom und Kabel. Wenn die Deutschen das selbe Windrad betrachten, denken sie auch an Wasserstoff und Pipelines – daran, dass mit dem Windrad Wasserstoff produziert wird, wenn es sehr windig ist und es eine Überproduktion von Windstrom gibt. Schließlich ist der Transport von Molekülen in Rohren effizienter als der von Elektronen in Kabeln.

Für den deutschen Industriekoloss ist es schlicht nicht machbar, die gesamte Industrie zu elektrifizieren, wie das in Norwegen geschehen soll. Wasserstoff ohne CO2 -Fußabdruck wird daher nach und nach das Erdgas ersetzen, um die deutschen und europäischen Klimaziele zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in einem aufstrebenden Markt für grüne Produkte zu sichern.

Basierend auf dem IPCEI (Important Project of Common European Interest) der EU werden in Europa bis 2030 mehr als 4.500 Kilometer Wasserstoffleitungen gebaut, davon 1.800 Kilometer nationale Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. Deutsche Gasspeicher sollen zu Wasserstoffspeichern umgebaut und deutsche LNG-Terminals im Rekordtempo errichtet werden. Das sind Terminals, die für zwei Zwecke gebaut wurden: kurzfristig für die Anlieferung von Gas als Ersatz für russisches Pipelinegas und langfristig für Wasserstoff.

Deutschland hat strategische Partnerschaften und Vereinbarungen unter anderem mit Kanada und Australien für die Lieferung von Wasserstoff per Schiff geschlossen. Aber Norwegen liegt viel näher an Deutschland. Unsere beiden Länder haben eine gemeinsame Gasgeschichte, die für die Produktion und den Transport von Wasserstoff große Bedeutung hat. Zudem ist der Transport in Pipelines effizienter als der Versand per Schiff. Bei der Entwicklung der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung wird dem Potenzial der Lieferung norwegischen Wasserstoffs daher entsprechend Bedeutung beigemessen. Deutschland wird schließlich Mengen an Wasserstoff importieren müssen, die ein Vielfaches des Energieverbrauchs Norwegens ausmachen. Kaum jemand ist für diesen deutschen und europäischen Zukunftsmarkt besser aufgestellt als Norwegen.

Auch die politische Erklärung zur deutsch-norwegischen Wasserstoffkooperation, die Robert Habeck und Öl- und Energieminister Terje Aasland (Ap) in Oslo unterzeichnet haben, weist auf große Herausforderungen hin. Die größte Herausforderung besteht im Aufbau neuer Wertschöpfungsketten und eines funktionierenden europäischen Wasserstoffmarktes. Der Entwicklungshorizont ist lang, die Unsicherheit groß und der Investitionsbedarf in die Infrastruktur riesig. Ohne einen funktionierenden großflächigen Wasserstoffmarkt werden die notwendigen Investitionen nicht ausgelöst.

Allein die Risikoteilung bei der Finanzierung einer künftigen Wasserstoff-Pipeline nach Deutschland ist keine leichte Übung.

In Norwegen löst normalerweise der Markt diese Art von Investition aus. In Deutschland spielt der Staat eine direktere Rolle. Gleichzeitig zieht es die europäische Industrie mit Wasserstoffprojekten jetzt zu den Investitionsmöglichkeiten in die USA und nach Kanada. Im Sog des „Inflation Reduction Act“ (IRA) von Präsident Biden und den grünen Steuersubventionen ist die Risikobereitschaft der Industrie in Europa beeinträchtigt – zumindest bis Europa gegensteuert.

Einige glauben, dass Deutschland und Europa einen grundlegenden Fehler machen, wenn sie auf Wasserstoff setzen, und dass der norwegischen Industrie am besten gedient ist, wenn sie sich auf Gas konzentrieren würden. Wie die Technologiefront, der europäische Energiemarkt und die Geopolitik ab 2030 aussehen werden, weiß niemand genau. Aber auch bei der Entwicklung eines europäischen Wasserstoffmarktes außen vor zu bleiben, beinhaltet ein gewisses Risiko. Schließlich wird wohl niemand darauf wetten, dass sich Deutschland und Europa am Ende mit Gas zufrieden geben.

Berlin, 16. Januar 2023.

Der Beitrag wurde am 14. Januar 2023 von der norwegischen Tageszeitung Dagens Næringsliv veröffentlicht. Wir danken für die Möglichkeit der Veröffentlichung auf BusinessPortal Norwegen. Finden Sie hier den Betrag des Botschafters auf der Website von Dagens Næringsliv in norwegischer Sprache.

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