Norwegen und Deutschland sind wichtige Partner – gerade jetzt

Ende November findet die Berliner Sicherheitskonferenz mit Norwegen als Gastland statt

Von Torgeir Larsen,
Norwegischer Botschafter in Deutschland

Es herrscht Krieg, mitten in Europa. Seit Russland in der Ukraine eingefallen ist, stehen wir vor einer neuen Realität, mit der viele nicht gerechnet hatten. Nur rund 30 Jahre nach der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sterben wieder tausende auf den Schlachtfeldern. Russland ist in die Ukraine eingefallen, und viele andere Staaten sehen ihre territoriale Integrität gefährdet.

Die Unterstützung für die Ukraine ist groß, vielfach koordinieren mehrere Staaten ihre Bemühungen, dem Land zu helfen. Das heißt auch, dass dieser Krieg Europa und den Westen generell näher zusammenbringt. Das zeigt sich auch und insbesondere mit Blick auf die nordischen Staaten – Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden.

Erst Mitte August reiste Bundeskanzler Olaf Scholz in die norwegische Hauptstadt Oslo, um dort im Rahmen des Nordischen Rats die Regierungschefs dieser fünf Länder zu treffen. Natürlich gehörten Gespräche über eine noch engere Kooperation der ohnehin seit langem freundschaftlich verbundenen sechs Staaten (inklusive Deutschland) zu den Hauptthemen. Diese werden sicherlich fortgesetzt, wenn am 30. November und 1. Dezember 2022 die Berliner Sicherheitskonferenz stattfinden wird (Berlin Security Conference BSC). Dieses Jahr ist Norwegen Gastland der BSC und wird u.a. durch den Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre, Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram und Chief of Defence General Eirik J. Kristoffersen vertreten. Auch die anderen nordischen Länder schicken ranghohe Militärs. Aus Deutschland werden Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht teilnehmen. Zwei Tage wird unter dem Titel „Europe and NATO – Directions for Action“ diskutiert werden.

Mit dem bevorstehenden Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO wird in Nordeuropa ein völlig neues Kapitel der Verteidigungs- und Sicherheitszusammenarbeit aufgeschlagen. Das berührt längst nicht nur die nordische Region, sondern auch das Verhältnis zu seinen Verbündeten, und da steht Deutschland ganz weit vorn – nicht zuletzt wegen seiner Lage. Deutschland liegt nicht nur im Zentrum Europas, sondern zugleich unmittelbar südlich von Dänemark und ist außerdem sowohl Nordsee- als auch Ostseeanrainer. 

Die Bedeutung von geografischer Nähe hat zugenommen, seit Europa von Osten her bedroht wird. Gemeinsame Werte und Stabilität sind wichtiger geworden, seit sie keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein scheinen.

Der Norden Europas spielt auch in Energiefragen für Deutschland eine zunehmend wichtigere Rolle. Für ein Deutschland, das nicht von russischem Gas abhängig ist, sind die Gaslieferungen aus Norwegen entscheidend für die Energiestabilität. Norwegen hat seine Gaslieferungen nach Europa seit Beginn des Krieges um rund acht Prozent steigern können und erwartet aufs Jahr besehen eine sogar noch größere Steigerung der Lieferungen nach Deutschland. Damit ist Norwegen nunmehr der größte Gaslieferant für Deutschland. Ebenfalls wichtig sind die Bemühungen des Nordens, die Bedeutung erneuerbarer Energien wie Offshore-Windkraft in der Ost- und Nordsee auszubauen. Erst im Mai vergangenen Jahres haben Equinor, RWE Renewables und Hydro REIN eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit im Bereich Offshore-Wind in Norwegen unterzeichnet. Norwegen ist dafür bekannt, seine umfangreichen Ressourcen nicht politisch zu nutzen, sondern verlässlich zu liefern. Deutschland als naher Nachbar und großes Land ist seit langem natürlicher Handelspartner. 

Deutschland liegt in der Mitte Europas und hat Nachbarn auf allen Seiten. Während des Kalten Krieges waren das geteilte Deutschland und Berlin das symbolische und geografische Zentrum zwischen Ost und West in Europa.

Dass es bei Sicherheit um territoriale Sicherheit ging, war für die meisten Norweger, Finnen oder Balten auch nach dem Kalten Krieg bei aller Annäherung eine Selbstverständlichkeit – schließlich grenzen unsere Länder, von denen lediglich Schweden mehr als zehn Millionen Einwohner hat, und das auch nur ganz knapp, im Osten an eine russische Supermacht. Territoriale Integrität ist natürlich auch für Deutschland und für andere europäische Länder unabdingbar. Dennoch war diese nur in geringerem Maße im Bewusstsein. Denn lange Zeit nach der Wiedervereinigung wurde Russland kaum als Bedrohung wahrgenommen.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat vieles verändert, auch das Verständnis des heutigen Russlands, das nunmehr als direkte Bedrohung für die Sicherheit, Freiheit und Demokratie Europas gesehen wird.

Der Aufnahmeantrag Schwedens und Finnlands an die NATO ist die nordische Version der Zeitenwende. Sie ist für Norwegen, aber auch für Deutschland von großer Bedeutung. Norwegen hat eine über 1.600 Kilometer lange Landgrenze mit Schweden, die Grenze mit Finnland ist gut halb so lang und damit immer noch doppelt so lang wie die Grenze mit Russland. Hier ist die Seegrenze umfangreicher. Der Bündniswunsch Finnlands und Schwedens ist eine direkte Folge des russischen Angriffskrieges und eines gefährlicher und unberechenbarer gewordenen Russlands. Ein geeinter Norden in der NATO wird die Stabilität der Region und darüberhinaus erhöhen und die gemeinsame Abschreckung in Nordeuropa stärken. 

Norwegen baut derzeit gemeinsam mit Deutschland neue U-Boote. Vor zehn Jahren war es ungewiss, ob Deutschland überhaupt neue U-Boote bekommen würde, jetzt werden sechs baugleiche produziert: zwei für Deutschland und vier für Norwegen. Im Rahmen dieses einzigartigen integrierten Projekts, das eine gemeinsame Ausbildung und Wartung vorsieht, werden norwegische und deutsche Besatzungen in Zukunft identische U-Boote betreiben. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen sowie zwischen Deutschland und den nordischen Ländern wird auch in anderen Bereichen verstärkt. Ein aktuelles Beispiel aus diesem Herbst ist der gemeinsame Kauf slowakischer Artillerie für die Ukraine durch Deutschland, Dänemark und Norwegen.

Mitten in Europa gelegen, muss sich Deutschland in mehrere Richtungen gleichzeitig engagieren. Im Norden gibt es jetzt ein besonders großes und neues Potenzial für die Zusammenarbeit mit fünf nordischen Ländern. Es war also kein Zufall, dass Bundeskanzler Scholz die nordischen Ministerpräsidenten zu Gesprächen in Oslo traf, und es war nicht die letzte sicherheitspolitische Konsultation zwischen den nordischen Ländern und Deutschland. Auch den Treffen auf der Berliner Sicherheitskonferenz werden weitere folgen.

Berlin, Oktober 2022

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