CCUS braucht Regulierung, Infrastruktur und First Movers

Interview mit Valborg Lundegaard, CEO Aker Carbon Capture Norway AS

Die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre wird von immer mehr wissenschaftlichen Einrichtungen, Unternehmen und Regierungen als Schlüssel zur Erreichung der Klimaziele gesehen. Norwegen gehört zu den wenigen Ländern, die Speicherkapazitäten für Kohlendioxid unter dem Meeresboden bereitstellen. Das norwegische Unternehmen Aker Carbon Capture stellt Industrieunternehmen die entsprechende Technologie zur Abspaltung von Kohlendioxid zur Verfügung. Ob Zementwerke, gas-to-power-Kraftwerke, Raffinerien oder Müllverbrennungsanlagen – die Dienste von Aker Carbon Capture sind weltweit gefragt. 

BusinessPortal Norwegen sprach mit Valborg Lundegaard, CEO des Unternehmens, über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Abspaltung, des Transports und der Lagerung von Kohlendioxid (CCUS), über Rahmenbedingungen, Kosten und Chancen der Technologie auch für kleine und mittelständische Unternehmen. 

Frau Lundegaard, nach Angaben des Global CCS Institute waren im vergangenen Jahr weltweit lediglich 27 CCUS-Projekte in Betrieb. Bis 2050 müssen es einhundert mal mehr Anlagen sein, um die Klimaziele zu erreichen. Ist ein solcher Zuwachs realistisch?

Valborg Lundegaard: Die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre wächst kontinuierlich – trotz aller Energieoptimierung, neuer Windparks und Solaranlagen. Es muss also etwas passieren. 

Viele Länder und Firmen haben sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden, also keinerlei CO₂ mehr in die Atmosphäre auszustoßen. Ich denke, das kann erreicht werden, weil die entsprechenden Technologien zur Verfügung stehen. CCUS ist eine davon, die wichtigste. 

Die meisten Unternehmen wollen ihren CO₂-Ausstoß durch die Einsparung von Energie reduzieren. Das ist das billigste Variante. Die größten Emittenten von Kohlendioxid wie die Zementindustrie oder die Abfallwirtschaft haben allerdings nur eine Option zur Senkung ihres CO₂-Ausstoßes: nämlich die Abspaltung und Lagerung unter dem Meeresboden. Das ist der Grund, warum einer unserer Hauptkunden, Norcem Brevik, eine sehr ambitionierte Strategie verfolgt, seine CO₂-Emissionen durch CCUS zu reduzieren. Norcem Brevik ist die Tochter des deutschen Zementherstellers HeidelbergCement.

Zusammengefasst: Ja, CCUS hilft, die Klimaziele zu erreichen. Aber ich befürchte, dass wir zu spät starten. Wir haben uns ja nicht nur für 2050 Ziele gesetzt, sondern bereits für 2030. Das heißt, wir können nicht bis zum Ende der Dekade warten. 

Nun sind Klimaziele von Regierungen und Unternehmen die eine Sache, die Nachfrage eine andere. Gibt es denn für Carbon Capture Utilization Storage einen Markt, der die Entwicklung vorantreiben kann?

Valborg Lundegaard: Die Technologie ist vorhanden und viele Fragen zu CCUS sind beantwortet. Im Technologiezentrum Mongstad, der weltweit größten Einrichtung zum Testen und Verbessern von Technologien zur CO₂-Abscheidung, wird unsere Technologie zur Abspaltung von CO₂ seit 2012 angewendet. Sie funktioniert. Seit 1996 verpressen norwegische Öl- und Gasunternehmen mit unserer Technologie permanent CO₂ auf dem norwegischen Festlandsockel. Das funktioniert auch. 

Neben der Technologie brauchen wir nun weitere Mechanismen, um die Entwicklung voranzutreiben. Jetzt ist die Politik gefragt. Wir brauchen Regulierung und Investitionen in die Infrastruktur, um die Industrie zum Leben zu erwecken. Und dann brauchen wir noch die Unternehmen, die sich zuerst bewegen, also die sogenannten First Movers. 

Es kommt darauf an, mit CCUS gute Geschäftsmodelle zu kreieren, dann entwickelt sich auch der Markt. Beispielsweise realisieren wir gerade ein CCUS-Projekt mit einer Abfallaufbereitungsanlagen in den Niederlanden. Hier wird das abgespaltene CO₂ als Dünger für die naheliegenden Gewächshäuser genutzt. So hat es einen Wert. Auch Zementwerke können einen Teil ihres abgeschiedenen CO₂ auf dem Markt verkaufen, denn es gibt viele Anwendungsgebiete für CO₂. Das ersetzt nicht die permanente Lagerung, aber es ist ein Anreiz.

Momentan sind wir noch nicht in der Situation, dass Kunden von Zementwerken beispielsweise sagen: ‘Wir wollen nur grünen Zement’. Deshalb ist es notwendig, dass die Politik die Unternehmen mit rechtlichen Rahmenbedingungen und steuerlichen Vorgaben für CO₂ unterstützt – das kann Zuckerbrot sein oder Peitsche. 

In welchen Regionen oder Ländern tut sich denn in Sachen CCUS am meisten?

Valborg Lundegaard: Wir erhalten Anfragen aus der ganzen Welt. Nordeuropa ist am weitesten entwickelt, auch bezüglich des Regelwerkes. Mit dem Langskip-Projekt, einem Demonstrationsprojekt, das Abscheidung, den Transport und die Speicherung von CO₂ umfasst und zum großen Teil öffentlich finanziert wird, hat sich Norwegen an die Spitze der Bewegung gesetzt. Aber auch in anderen Teilen Europas sind CCUS-Projekte in Planung. Skandinavien, die Niederlande, Belgien und Großbritannien sind die führenden Länder bezüglich des Einsatzes von CCUS. Auch in den USA und in Kanada passiert jetzt eine Menge. Wenn sich dort die Dinge bewegen, kann es sehr schnell gehen. Wir sehen Nordamerika daher als unseren nächsten wichtigen Markt. 

Welche Bedeutung hat die Anwendung von CCUS in Europa?

Valborg Lundegaard: Die EU arbeitet gegenwärtig sehr zügig, um das Regelwerk für CCUS und die dazugehörige Infrastruktur zu etablieren. Aber es ist ein langer Weg. Ja, die Anwendung der CCUS-Technologie zur Dekarbonisierung ist ein sehr großes Infrastrukturvorhaben. Da braucht es Zeit für die Genehmigungen, die Finanzierung, für die Implementierung. Aber vom Standpunkt der Industrie aus muss es schneller gehen.

Beispielsweise müssen die Länder bilateralen Vereinbarung unterzeichnen, wenn CO₂ per Schiff über Ländergrenzen hinweg transportiert werden soll. Norwegen ist diesbezüglich mit Belgien und Großbritannien in Verhandlung. Um den ganzen Prozess zum Laufen zu bringen, ist es wichtig, dass man CO₂ exportieren darf. 

Wir sehen viele Projekte, die in Europa in der Pipeline stecken. Leider werden sie nicht vor der zweiten Hälfte der Dekade zum Tragen kommen. Aber unsere Projekte werden bald starten. Die Anlage in dem Müllverbrennungswerk in Twence in den Niederlanden wird 2023 in Betrieb gehen und die Anlage im Zementwerk in Brevik 2024.

In der Liste der kommerziellen CCUS-Facilitäten und Projekte tauchen 14 Länder auf. Deutschland ist nicht dabei. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit Deutschland und welche Bedeutung haben deutsche Unternehmen für Sie als Kunden oder Partner?

Valborg Lundegaard: Wir arbeiten sehr gut mit deutschen Unternehmen zusammen. Die Industrie hat großes Interesse an der Abspaltung und Lagerung von Kohlendioxid. Das beste Beispiel ist wieder unser Brevik-Projekt mit der norwegischen Tochter von HeidelbergCement. Darüber hinaus sind MAN Energy Solutions und Siemens Energy wichtige Partner. Mit MAN Energy Solutions beispielsweise entwickeln wir energieeffiziente Kompressionslösungen für die Anwendungen zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung mit Wärmerückgewinnung. Siemens Energy liefert die Gasturbinen für unsere Carbon-Capture-Projekte.

So sind wir gemeinsam mit Siemens Energy an der Entwicklung und am Bau der Keadby 3 Carbon Capture Power Station in Großbritannien beteiligt. Es soll eines der ersten Kraftwerk Großbritanniens mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung werden – ein Mega-Projekt. Das Werk ist in der Lage, jährlich bis zu zwei Tonnen CO₂ abzuscheiden. Damit ist es etwa fünfmal so groß wie die Anlage im Werk von HeidelbergCement in Brevik. 

Abgesehen von unseren Partnern sind wir in Deutschland natürlich mit potenziellen Kunden in Kontakt, um ihnen den CCUS-Prozess zu erklären. Jetzt, in der aktuellen Situation, mit dem Krieg in der Ukraine und den Russland-Sanktionen, ändern sich die Bedingungen und Einstellungen. Jetzt baut Deutschland ganz schnell LNG-Terminals. Wir sind mit einigen Unternehmen im Gespräch, die LNG importieren, das CO₂ gleich am Terminal abspalten und vom selben Terminal exportieren wollen – möglichst auf dem selben Schiff, das das LNG geliefert hat. Das ist ein interessanter Weg, Energiesicherheit zu erlangen und gleichzeitig die Dekarbonisierung voranzutreiben. Bezüglich Deutschland brauchen wir jetzt CO₂-Pipelines von Industriegebieten wie dem Ruhrgebiet zu den LNG-Terminals oder in die Niederlanden, wo gerade eine CO₂-Infrastruktur aufgebaut wird. Der Anschluss per Pipeline ist wichtig, wenn man von Offshore-Lagerung redet.

Bei all den Diskussionen um CCUS in der Vergangenheit kann man sich kaum vorstellen, dass diese Technologie auch in Deutschland angewendet wird.  

Valborg Lundegaard: Die Situation ändert sich. Es gibt große Ambitionen zur Dekarbonisierung. Mehr und mehr Leute in Umweltorganisation sehen CCS ebenfalls als eine temporär gute Möglichkeit, die Klimaziele zu erreichen. 

Bleibt die Frage nach den Kosten. CCUS ist ja kein wirklich preiswertes Verfahren.

Valborg Lundegaard: Wann immer es um Neuentwicklungen geht – die ersten neuen Technologien oder Produkte sind immer teuer. Für das Technologiezentrum in Mongstad, die weltweit fortschrittlichste Testarena für CO₂-Abscheidungstechnologien, haben wir 2012 die erste Anlage geliefert. Heute könnten wir dieses Werk beispielsweise um 90 Prozent preiswerter bauen. 

Ja, wir müssen die Kosten reduzieren. Wir arbeiten mit Universitäten und Forschungsinstituten zusammen, um Anregungen von allen Seiten sowohl zur Weiterentwicklung unserer Technologie zu erhalten als auch zur Reduzierung der Kosten. Die Kunst besteht darin, eine gute Lösung, die im Labor funktioniert, auch kommerziell umzusetzen. 

Unser Hauptaugenmerk legen wir auf die Standardisierung. Gegenwärtig ist jede Anlage, die wir bauen, maßgeschneidert. Das ist ein sehr teurer Weg. Deshalb wollen wir den Bau von Carbon-Capture-Werken standardisieren, so dass man die Teile wie in einem Baukasten überall auf der Welt zusammenfügen kann. Damit schafft man auch die Möglichkeit, die Herstellung bestimmter Komponenten auszulagern und zu geringeren Kosten zu produzieren. 

Eine weitere Möglichkeit zur Kostenreduzierung sehen wir in der Digitalisierung. Wenn wir gute technische Lösungen finden, können wir diese dann auch leicht in einem anderen Werk implementieren – lediglich durch ein Upgrade des Kontrollsystems. So wie bei modernen Autos. 

Im Bereich Digitalisierung ist Microsoft ein wichtiger Partner. Das Unternehmen selbst, das vor allem über seine Datenzentren große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre schleudert, will bis 2030 klimaneutral arbeiten oder sogar eine größere Menge an CO₂ ausgleichen, als es selbst emittiert. Microsoft wird für den ganzen CCUS-Prozess – von der Abspaltung über den Transport bis zur Lagerung – digitale Lösungen finden, die dem CO₂ auf Schritt und Tritt folgen. So kann die Qualität in jeder Prozessphase gewährleistet werden und man hat einen Überblick über die Kosten.  

Sie haben bereits erwähnt, dass CCUS für die großen CO₂-Emittenten eine Lösung zur Dekarbonisierung darstellt. Wie interessant ist CCUS für kleine und mittelständische Unternehmen?

Valborg Lundegaard: Gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die zwischen  100.000 und 200.000 Tonnen CO₂ pro Jahr emittieren, haben wir CCUS als einen Service entwickelt. Das heißt, unser Unternehmen organisiert die ganze Wertschöpfungsketten – sowohl die Entwicklung, den Bau, die Finanzierung und den Betrieb einer Abscheidungsanlage als auch Transport und Lagerung. Wir begleiten den ganzen Lebenszyklus des Werkes, und der Kunde zahlt nur für die abgespaltene Tonne CO₂. 

Natürlich variiert das Angebot je nach Energiekosten, Standort oder Transportkosten. Gegenwärtig bieten wir CCUS als Service zwischen 70 und 100 Euro pro Tonne an. Der EU-Carbon-Preis liegt gegenwärtig bei etwa 85 Euro pro Tonne. Das heißt, es kann die Unternehmen mehr kosten, mit CO₂ zu handeln als CCUS zu implementieren. 

Interessant ist diese Lösungen speziell für Unternehmen, die Teil eines Cluster sind, so dass Synergien beim Aufbau der Infrastruktur zur Kostenreduzierung genutzt werden können. 

Langfristig kann bei der Implementierung einer CCUS-Wertschöpfungskette also auf öffentliche Gelder verzichtet werden. Aber in den nächsten Jahren brauchen die Unternehmen noch finanzielle Unterstützung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jutta Falkner.

Zur Person

Die Chemieingenieurin Valborg Lundegaard verfügt über mehr als 30 Jahren Erfahrung in der Energiebranche. Sie arbeitete in mehreren Schlüsselpositionen im Management bei Aker Solutions. Hier war sie unter anderem im Unternehmens- und Projektmanagement, in der internationalen Geschäftsentwicklung und in Entwicklungsprojekten tätig.

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