„Wir sind ein hoch-innovatives Land“

Interview mit Håkon Haugli, CEO Innovation Norway, und Manuel Kliese, Direktor Deutschland, Schweiz und Österreich bei Innovation Norway

Håkon Haugli (links) und Manuel Kliese vor dem Storting in Oslo©Innovation Norway

Die staatliche Wirtschaftsfördergesellschaft Innovation Norway ist das wichtigste Instrument der norwegischen Regierung zur Unterstützung von Unternehmen bei der Umsetzung fortschrittlicher Ideen. Die grüne Transformation und die Zusammenarbeit mit europäischen Firmen spielt dabei eine besondere Rolle. BusinessPortal Norwegen sprach mit Håkon Haugli, CEO von Innovation Norway, und Manuel Kliese, Direktor Deutschland, Österreich und Schweiz, über die Leistungskraft der norwegischen Wirtschaft und Kooperationsangebote für deutsche Unternehmen.

Herr Haugli, wie beurteilen Sie die Innovationskraft norwegischer Unternehmen?

Haugli: In Sachen Innovation haben norwegische Unternehmen in den vergangenen Jahren kräftig zugelegt. Der European Innovation Scoreboard 2021 stuft Norwegen als starken Innovator ein. In diesem Index, der die Innovationskraft europäischer Unternehmen bewertet, sind wir Jahr für Jahr aufgestiegen. In vielen Bereichen liegen wir über dem EU-Durchschnitt. Viele unserer Innovationen sind als Komponenten in größere Projekte oder Systeme integriert und daher nicht immer auf den ersten Blick sichtbar. Doch wir sind ein hoch-innovatives Land mit einer ausgesprochen großen Zahl kleiner und mittelständischer „Hidden Champions“. 

Welche Branchen und Unternehmen genau fördert Innovation Norway?

Haugli: Wir schauen nach drei Faktoren: Erstens auf die Unternehmerschaft. Wir suchen und unterstützen vielversprechende Firmen. Und davon gibt es eine Menge. 2020 wurden in Norwegen so viele Startups gegründet wie nie zuvor. Die meisten von ihnen sind gewachsen – und das ist ein zweiter wichtiger Faktor. Norwegen hat inzwischen die ersten Unicorns – das heißt, der Zugang zu Kapital ist gewährleistet. Die Startups sind im Wirtschaftsleben angekommen: Sie  schaffen Arbeitsplätze und tragen zur Wertschöpfung bei.

Drittens entwickeln wir innovative Regionen. Neuerungen findet in Norwegen nicht in erster Linie in großen Städten statt wie in den meisten Ländern. Wir finden innovative Unternehmen und neue Technologien vor allem an der Küste. In Fischfarmen wird z.B. in großem Umfang künstliche Intelligenz eingesetzt. Jeder einzelne Fisch wird individuell erfasst, Größe, Gewicht und Lebenszyklus werden ständig überprüft. Auch bei Tiefsee- und Offshore-Operationen insgesamt werden die fortschrittlichsten Lösungen entwickelt und eingesetzt. Innovationen spielen im Rohstoffsektor eine sehr wichtige Rolle, Von hier werden sie auf andere Industriezweige übertragen. 

Schließlich sehen wir in Norwegen ein bedeutendes Wachstum im Bereich grüne Energie. Die Aktivitäten rund um die Batterie-, Hydrogen- und Ammoniakproduktion, um Datacenter und andere energieintensive Branchen entwickeln sich rasant. 

Im Klimaplan der Europäischen Union, aber auch in Deutschland spielt der Einsatz von grünem Wasserstoff eine zentrale Rolle zur Erreichung der Klimaziele. Was kann Norwegen Deutschland und der EU in diesem Bereich bieten?

Haugli: Norwegen hat umfangreiche Erfahrung im Öl- und Gassektor. Diese Branche besteht aus kompetenten Zulieferern und Lösungsanbietern unter anderem für den sicheren Umgang mit Gasen und der dazugehörigen Technologie, insbesondere auf See. Die maritime Industrie insgesamt verfügt über umfassende Erfahrungen in der Entwicklung und Implementierung neuer Hightech-Lösungen im Seeverkehr, einschließlich der Verwendung von Batterien.

Die norwegische Produktion erneuerbarer Energie wird in den kommenden Jahren stark zunehmen, so dass es auch wieder preisgünstige grüne Energie geben wird, was wiederum eine wichtige Grundlage für die Produktion von grünem Wasserstoff für den Export darstellt. Wir sehen bereits heute, dass norwegische Unternehmen mit ihren ausgereiften Prozessen und Verfahren eine führende Rolle im Bereich grüner Wasserstoff übernehmen, auch in Richtung Deutschland. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen norwegischen Akteuren hilft deutschen Unternehmen, Logistik und Infrastruktur rund um grünen Wasserstoff schneller aufzubauen. Norwegen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft – Deutschland muss also gar nicht so weit suchen.

Welche gemeinsamen Projekte gibt es im Bereich Hydrogen mit deutschen Unternehmen?

Kliese: Wir haben ein gemeinsames strategisches Projekt zur Positionierung Norwegens als einen großen Hydrogen-Player gestartet. Dabei geht es sowohl um die Produktion als auch um den Export von grünem und blauem Wasserstoff. Das Spektrum an industriellen Kooperationsmöglichkeiten ist groß. Es reicht von Hydrogen als Säule für die Energie- und Stromerzeugung bis zur Abfallaufbereitung, vom Einsatz in Häfen entlang der Küste bis zu power to liquid.

Haugli: Norwegen kann relativ schnell viel Wasserstoff exportieren, heute blau, künftig aber auch grün. Wir können auch H2-Technologie liefern und verfügen über fundiertes Know-how im Sicherheitsmanagement in diesem Bereich. Und Norwegen ist bereits Teil des IPCEI-Programms für Wasserstoff (Important Projects of Common European Interest). 

Während seines Deutschland-Besuches lud Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre Deutschland ein, an einem Szenario mitzuarbeiten, CO2-freies Gas nach Deutschland zu bringen. Welche Art der Kooperation erwartet Norwegen von Deutschland auf diesem Gebiet? Die Lieferung und der Bezug von Gas sind ja ein privates Geschäft.

Haugli: Partnerschaften auf politischer Ebene sind wichtig für Unternehmen, die sich in neue Bereiche und neue Märkte begeben. Ja, natürlich basiert der Ex- und Import von Gas, egal welcher Farbe, auf Verträgen zwischen Unternehmen. Aber eine strategische Anerkennung auf politischem Gebiet sollte dabei nicht unterschätzt werden. Die Abspaltung von Kohlendioxid vom Erdgas ist ein sehr forschungsintensives Feld. Damit verbunden sind große Investitionen mit hohem Risiko. Hier können Regierungen Risiko übernehmen, um sicherzustellen, dass die Technologie umgesetzt wird.

Die norwegische Regierung engagiert sich finanziell bereits stark mit einem Demonstrationsprojekt beim Aufbau einer Wertschöpfungskette zur Abspaltung und Lagerung von CO2 unter dem Meeresboden

Kann Norwegen dieses CCS-Projekt allein stemmen?

Haugli: Nun, Norwegen möchte dieses Projekt nicht allein stemmen. Wir wünschen uns, dass die EU mehr Aufmerksamkeit auf Norwegen richtet. Das nutzt uns allen. 

Um Wasserstoff im großen Stil für die Energieproduktion einzusetzen, ist eine Bewegung in ganz Europa notwendig. Wir haben nur acht Jahre, um die ersten Klimaziele umzusetzen. An vielen Stellen wird gegenwärtig an CCS-Projekten gearbeitet. Wir sehen uns hier nicht als Wettbewerber, sondern als Teil dieser Wasserstoff-Bewegung. Norwegen kann dabei eine ganz spezielle Rolle übernehmen: Wir können sicherstellen, dass diese Technologie verfügbar ist. Aber auch hierfür suchen wir Kooperationspartner.

Die deutsche Regierung will Geld nur für Investitionen in grünen, also aus erneuerbaren Energie hergestelltem Wasserstoff in die Hand nehmen. 

Haugli: Norwegen produziert mehr blauen als grünen Wasserstoff. Laut der Wasserstoff-Strategie der norwegischen Regierung wird blauer Wasserstoff in der kommenden Zeit als Brückenlösung wichtig sein. Aus Erdgas hergestellter Wasserstoff wird derzeit im Verkehrssektor in Norwegen eingesetzt.

Aber die Installation von Elektrolyseuren in Norwegen zeigt, dass auch grüner Wasserstoff kommen wird. Die Marktnachfrage wird entscheiden, ob Norwegen die Kapazität für grünen Wasserstoff erhöht und wie schnell dies geschieht. Der Preis muss angemessen sein, und wir brauchen natürlich Käufer.

Welche Rolle spielt Deutschland heute und soll Deutschland künftig als Handelspartner, als Investor und als Partner im Bereich Innovation spielen? 

Kliese: Deutschland ist ein äußerst wichtiger Markt und Partner für Innovationen und innovative Lösungen und ein Tor zur EU. Das zeigt auch die Tatsache, dass Innovation Norway in Deutschland zwei Büros hat, die zu den größten Auslandsbüros unserer Organisation weltweit gehören. Und nicht zu vergessen: Deutschland ist ein wichtiger IPCEI-Partner.

Darüber hinaus spielt auch die industrielle Entwicklung deutscher Unternehmen und Akteure in Norwegen eine wesentliche Rolle in der deutsch-norwegischen Wirtschaftskooperation. Für die Zukunft sehen wir auch vielversprechende Möglichkeiten für die deutsch-norwegische Zusammenarbeit in der Weltraumforschung und Verteidigungsindustrie.

Für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen im Bereich Digitalisierung haben sich bereits drei Schwerpunkt herausgebildet: Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz und Acceleration-Programme für die norwegische Industrie. 

Deutschland hat großen Bedarf an der Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen. Hier hat Norwegen zahlreiche Lösungen und Erfahrungen zu bieten. Im Bereich Health-Tech arbeiten deutsche und norwegische Firmen bereits gut zusammen.

Ein weiteres, sehr interessantes Kooperationsfeld sind die Datenzentren. Das Interesse deutscher Firmen ist groß, sowohl als Investor als auch als Nutzer norwegischer Rechenzentren. In jüngster Zeit verlagern mehr und mehr Plattformen aus der Automobilindustrie ihre Daten nach Norwegen. Hier werden die Zentren ausschließlich mit erneuerbarer Energie betrieben. Und Norwegen bietet die entsprechende Sicherheit.

Haugli: Bei den Datenzentren kommt erstmals unser kaltes Wetter als Vorteil zum Tragen. Wir bieten sozusagen eine natürlich Kühlung (lacht).

Beim Einsatz von Elektroautos schaut die ganze Welt auf Norwegen. Im Gesamtjahr 2021 lag der Anteil der reinen Elektroautos an den Neuzulassungen bei 64,5 Prozent. Der Aufbau einer Infrastruktur zum Laden der Autos ist eine große Herausforderung, aber auch eine riesige Chance für Infrastruktur-Player, die hier in Norwegen entsprechende Erfahrungen mit digitalen Plattformen sammeln können. Sie können in verschiedenen Regionen investieren. Die Daten der digitalen Plattformen, über die Autobesitzer ihre Autos aufladen, werden für das Business verfügbar gemacht. Data sharing und digitale Plattformen wiederum werden als Grundlage für Finanzierungsangebote benötigt.

Last but not least sieht sich Norwegen als maritime Nation in der Verantwortung, einer wachsenden Weltbevölkerung Zugang zu nachhaltigen Lebensmitteln zu verschaffen. Fischfarmen werden immer wichtiger. Algen werden für die Ernährung zunehmend eine Rolle spielen. In Norwegen besitzen wir in diesem Bereich das Potenzials und die Erfahrungen.  

Norwegen hat eine Menge an Kooperationsmöglichkeiten zu bieten. Aber weiß der Rest der Welt davon? Sind Sie zufrieden mit der Wahrnehmung Norwegens im Ausland?

Haugli: Nein, wir sind nicht zufrieden. Wir leben von dem Image, dass wir Rohstoffe exportieren, die auf langen Verkaufszyklen beruhen. Aber wir befinden uns in einer Situation, in der wir Produkte und Dienstleistungen diversifizieren müssen. Wo sich Öl von selbst verkauft, brauchen andere Exportgüter eine verlockendere Verpackung. Deshalb arbeiten wir bei Innovation Norway daran, Norwegens neue Exportindustrien international zu positionieren: Offshore-Wind, Wasserstoff, Batterien, Gesundheitstechnologie, Aquakultur und vieles mehr. Die Arbeit von Innovation Norway bei der strategischen Positionierung richtet sich auf Länder und Bereiche, in denen die Möglichkeiten groß sind und in denen die norwegische Geschäftswelt gute Erfolgsaussichten hat. 

Wir stellen norwegische „Nationalteams“ für die neuen Exportindustrien zusammen, identifizieren gemeinsame Exportambitionen und erstellen Kampagnen, die die norwegische Wirtschaft und Industrie von ihrer interessantesten Seite zeigen. 

Wer zum Team Norway gehört, ist von Land zu Land unterschiedlich. Innovation Norway ist in den wichtigsten Exportmärkten Norwegens präsent – ​​insgesamt in mehr als 20 Ländern. 

Kliese: Für Deutschland haben wir zum Beispiel die Wasserstoffproduktion als neuen, strategisch wichtigen Bereich identifiziert, auf dem Norwegen Wettbewerbsvorteile gegenüber Deutschland zu bieten hat. Als Agentur, die die Geschäftswelt unterstützt, kommunizieren wir diesen Wettbewerbsvorteil natürlich in Deutschland und wollen so herausfinden, was deutsche Firmen konkret von Norwegen erwarten. 

Zum Team Norway in Deutschland gehören die Büros von Innovation Norway in Hamburg und München, die norwegische Botschaft, Norwegian Energy Partners und Norwegian Seafood Council. Die Deutsch-Norwegische AHK ist assoziiertes Mitglied. Gemeinsam wollen wir Norwegen als Marke in strategischen Bereichen noch klarer positionieren und so auch neue Exportmöglichkeiten erschließen.

Haugli: Dazu müssen wir unseren norwegischen Unternehmen auch die Bedeutung des deutschen Marktes näher bringen. Dafür braucht es mehr Verkaufspersonal. Norwegischen Startups bauen zu spät kommerzielle Kompetenz auf. Sie investieren eher in den 25. Ingenieur als in den ersten Verkaufsmanager. Wir sind ein Ingenieur-Land. Das ist einerseits gut. Andererseits brauchen wir mehr kulturelles Verständnis für ausländische Märkte: mehr Verkäufer, mehr Präsenz, mehr Brands.

Gibt es konkrete Vorhaben zum besseren Kennenlernen des deutschen Marktes?

Kliese: Es gehört zum Kerngeschäft von Innovation Norway, zum Beispiel im Rahmen unserer Global Growth-Programme, unseren Kunden Marktinformationen und adäquates Verhalten beim Eintritt in unterschiedliche Märkte zu vermitteln. So stellen wir sicher, dass sich die Marktkompetenz unserer Kunden konkret weiterentwickelt. Dazu gehören Maßnahmen wie Verkaufstrainings oder Beratung bei der Entwicklung einer strategischen Position und Kommunikation. Hier bieten wir gezielt verkaufs- und absatzorientierte Umgebungen für die Unternehmen. 

Außerdem werden wir den Studentenaustausch intensivieren. Gemeinsam mit der Norwegian School of Economics NHH, eine der wichtigsten Hochschulen für Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Norwegen, werden wir im Juni eine Summer School an der TU München starten. Jährlich sollen dann 35 Studenten nach Deutschland kommen, um mehr über deutsche Businesskultur und die Einkaufs- und Verkaufspraktiken deutscher Unternehmen zu erfahren. 

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jutta Falkner.

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