Interview mit Michael Kern, Geschäftsführer der AHK Norwegen

Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen haben sich in diesem Jahr auch auf die deutsch-norwegischen Wirtschaftsbeziehungen ausgewirkt. BusinessPortal Norwegen sprach mit Michael Kern, Geschäftsführer der AHK Norwegen, über die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven der Zusammenarbeit in Zeiten von Grenzschließungen, Quarantänevorschriften und weltweiter Konjunkturflaute sowie über ambitionierte Klimaziele und Zukunftsthemen.
Herr Kern, welche Bereiche des deutsch-norwegischen Handels sind besonders von der Corona-Krise betroffen?
Wie andere Länder auch, ist Norwegen stark in Lieferketten eingebunden. Entsprechend gab es auch Einbrüche im deutsch-norwegischen Handel. Norwegen ist zum Beispiel ein wichtiger Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie, und wenn die Produktion in Deutschland zurückgeht, wirkt sich das natürlich auch auf die norwegischen Zulieferungen aus. Bei den Lieferungen von Fisch- und Meeresfrüchten blieb die Nachfrage insbesondere in Deutschland zwar stabil, allerdings kam es zu Verzögerungen, weil die Logistikketten nicht wie gewohnt funktioniert haben. Die klassischen norwegischen Exportgüter Erdöl und Erdgas sind weiter geflossen, wenngleich die Nachfrage zurückging und die Preise Mitte des Jahres in den Keller sanken – um ein paar Beispiele für betroffene Branchen zu nennen.
Ich denke, dass die Unternehmen die bisherigen Herausforderungen gut gemanagt haben. Wir sehen aber die Gefahr, dass sich die Reisebeschränkungen auf die künftige bilaterale Zusammenarbeit auswirken kann. Da klassische Geschäftsreisen und persönliche Treffen für die Auftragsakquise in diesem Jahr nicht möglich waren, wurden kaum neuen Projekte angeschoben. Wenn Geschäftsleute weiterhin nur mit Quarantäneauflagen nach Norwegen reisen dürfen, werden wir in den nächsten ein bis zwei Jahren eine Lücke in der Projektarbeit sehen. In unserer jüngsten Konjunkturumfrage haben alle teilnehmenden Unternehmen Verständnis für die Reisebeschränkungen geäußert. Sie waren aber auch der Ansicht, dass kurzfristige Geschäftsreisen für die Akquise möglich sein sollten, um Handel und Investitionsvorhaben mittel- und langfristig nicht zu beeinträchtigen.
Haben Sie denn Hoffnung, dass die Regierung für Geschäftsreisende eine Ausnahme von den Reisebeschränkungen zulässt?
Wir haben den öffentlichen Stellen die Ergebnisse der Umfrage mitgeteilt. Wir halten es für wichtig, dass klar definierte ein- bis zweitägige Geschäftsreisen für Unternehmer möglich sein sollten, um die Kontinuität in der Auftragsakquise zu gewährleisten. Statt Quarantäne könnten beispielsweise aktuelle Tests akzeptiert werden.
Auch die Entsendung von Mitarbeitern beispielsweise zur Montage von Maschinen- und Anlagen ist ja momentan schwierig.
Bei laufenden und strategischen Projekten, beispielsweise in den Bereichen Lebensmittelversorgung oder medizinische Versorgung, konnte die Projektarbeit fortgesetzt werden – aber tatsächlich unter schwierigen Bedingungen. Die Unternehmen haben umdisponiert, indem sie die Mitarbeiter nicht kurzfristig, sondern für einen längeren Zeitraum nach Norwegen entsendet haben, um die Quarantäne und Neueinreise, die auch mit hohen Kosten verbunden ist, zu vermeiden.
Wie hat sich das auf die Zahl der Anfragen zum Neugeschäft ausgewirkt?
Wir hatten von März bis Mai, im ersten Lockdown, eine ruhige Phase. Im Juni und Juli wurde das Interesse deutscher Zulieferer wieder größer, weil Norwegen für das zweite Halbjahr viele Projekte initiiert hatte. Jetzt wenden sich sehr viele deutsche Unternehmen an uns, um sich zum aktuellen Arbeitsrecht und zu den geltenden Einreisebestimmungen zu informieren. Die Vorschriften ändern sich nahezu wöchentlich, weshalb wir unsere Mitglieder und Kunden gerne zum aktuellen Stand beraten.
Um welche Projekte handelt es sich, die im zweiten Halbjahr gestartet wurden?
Im Bereich Abfallwirtschaft wird sowohl von staatlicher als auch von privater Seite investiert. Deutsche Zulieferer sind hier beispielsweise in die Lieferung von Recyclinganlagen involviert. Außerdem modernisieren die Kommunen ihre Sportanlagen und auch im Infrastrukturbereich wird wieder kräftig gebaut – hier wurden zahlreiche Ausschreibungen veröffentlicht.
Die AHK Norwegen ist in diesem Jahr – wie alle anderen Unternehmen und Institutionen auch – digitaler geworden. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Online-Arbeit gemacht?
Aus unserer Sicht eignen sich digitale Formate wie Webinare oder Online-Konferenzen gut für den Wissenstransfer. Unsere Arbeitsrecht-Seminare haben einen besonders großen Zulauf. In den ersten Monaten haben wir unsere Veranstaltungen und Beratungsgespräche noch eins zu eins digital abgebildet, wir haben aber schnell gelernt, dass wir mit digitalen Events eine größere Reichweite als mit Präsenzveranstaltungen erzielen und deutsche und norwegische Akteure unabhängig vom Standort zusammenbringen können. Unsere Arbeitsgruppen Ocean Technologie, Wasserstoff und F&E sind beispielsweise mit Vertretern beider Länder besetzt. Wenn sie online getagt haben, waren fast alle Mitglieder anwesend. Für eine Veranstaltung in Oslo wäre wahrscheinlich niemand aus dem Ausland angereist. Auch Unternehmen aus norwegischen Regionen haben sich viel stärker an unseren Online-Angeboten beteiligt. Wir haben neue Formate wie die Morgenkaffee-Runde geschaffen, in der Mitglieder unseres Vorstandes oder Leiter von Arbeitsgruppen zum Gespräch einladen. Sogar Delegationsreisen aus Deutschland haben wir in den digitalen Raum verlagert.
Bei digitalen Networking-Veranstaltungen sind die Unternehmen allerdings eher zurückhaltend. Die Kommunikation untereinander gelingt noch nicht so, wie wir uns das wünschen. Die Möglichkeit, Fragen zu stellen, wird kaum in Anspruch genommen. Aber wir arbeiten daran und werden den Online-Veranstaltungs- und Netzwerkbereich weiter ausbauen und optimieren.
Insbesondere im Klimabereich wollen Norwegen und Deutschland eng zusammenarbeiten. Was können beide Länder füreinander tun? In der deutschen Wasserstoff-Strategie beispielsweise ist Norwegen als Partner nicht genannt.
In unserem Positionspapier zum Wasserstoff, das wir im November veröffentlicht haben, heben wir hervor, dass Norwegen beides kann – grünen und blauen Wasserstoff. Die im Juni veröffentlichte norwegische Wasserstoff-Strategie wurde zunehmend mit konkreten Maßnahmen untermauert. Deutschland hat mit seiner Wasserstoff-Strategie ein Ausrufezeichen gesetzt. In beiden Ländern werden H2-Produktionsketten zügig aufgebaut. Hier gibt es für deutsche Zulieferer große Chancen – und auch umgekehrt, denn Norwegen hat ebenfalls kompetente Zulieferer, die sich an Projekten in Deutschland beteiligen können. Die Tatsache, dass Norwegen jetzt der Europäischen Initiative für Innovation und industrielle Zusammenarbeit (IPCEI) beigetreten ist, erhöht die Chancen für interessante Projekte in Norwegen.
Für dieses Jahr hatte die AHK Norwegen das Thema Ocean Technology und die regionale Zusammenarbeit mit Bergen und Ålesund als Schwerpunktthemen auf ihre Agenda gesetzt. Was konnte umgesetzt werden?
Wir haben das Thema Ocean Technology gut positioniert und eine bilaterale Arbeitsgruppe, die von Gisle Nondal, R&D Manager bei GCE Ocean Technology, geleitet wird, ins Leben gerufen. Hier geht es um Europas und Norwegens künftig Energieversorgung, saubere Ozeane, neue Antriebstechnologien für Schiffe und vieles mehr. Die Arbeitsgruppe war in diesem Jahr sehr aktiv – an einem bilateralen Workshop im November nahmen 70 Unternehmen teil.
Regional wollten wir stärker unterwegs sein, was die Pandemie leider verhindert hat. Aber wir konnten zahlreiche Referenten und Teilnehmer aus diesen Regionen Norwegens für unsere Online-Veranstaltungen gewinnen.
Womit wird sich die AHK im kommenden Jahr schwerpunktmäßig beschäftigen?
Wir werden deutsche und norwegische Unternehmen weiterhin in ihrer Zusammenarbeit bei Zukunftstechnologien unterstützen. E-Health, E-Learning, Industrie 4.0 und Digitalisierung sind sozusagen Dauerbrenner der AHK Norwegen. Wir bringen uns in Kooperationen beim Ausbau der Wasserstoff-Wertschöpfungskette und bei der Reduzierung der von der Industrie erzeugten Emissionen mittels CCS ein. Uns ist auch sehr daran gelegen, Forschungs- und Entwicklungsprojekte im bilateralen Umfeld zu unterstützen. Hier gibt es gute Voraussetzungen: Die Fraunhofer-Gesellschaft ist beispielsweise an verschiedenen F&E-Projekten in Norwegen beteiligt. Auch Ocean Technology wird im kommenden Jahr ein Schwerpunktthema bleiben.
Sie packen vor allem die große Zukunftsthemen an. Aber will nicht die Mehrzahl der deutschen Unternehmen in Norwegen einfach nur kaufen oder verkaufen?
Das ist absolut richtig und spiegelt sich in unserem Tagesgeschäft wider: Zu 80 bis 90 Prozent sind unsere Mitarbeiter mit Fragen zu Absatz, Beschaffung und zur Digitalisierung in der Industrie beschäftigt. Wir widmen uns aber jetzt schon den Zukunftsthemen, die in fünf bis zehn Jahren relevant sind, damit unsere Mitglieder und Kunden die Chance haben, von Anfang an dabei zu sein. Wenn die Wertschöpfungskette erst einmal steht, ist es schwieriger, hineinzukommen.
Sie sind seit einem Jahr Geschäftsführer der AHK Norwegen. Was hat Sie in dieser Zeit besonders beeindruckt?
Das Jahr verlief anders, als ich es geplant hatte. Ich wollte viel mehr im Lande präsent sein – aber das werde ich nachholen. Sehr angetan bin ich von den eben genannten Zukunftsthemen, die in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen eine große Rolle spielen.
Als sehr positiv habe ich die sehr gute Zusammenarbeit mit allen Akteuren der bilateralen Wirtschaft empfunden, insbesondere mit den Botschaften in Oslo und Berlin sowie mit Innovation Norway. Ich bin sehr optimistisch, dass wir die Zusammenarbeit weiter vertiefen werden.