Interview mit Knut Kroepelien, CEO des Unternehmerverbandes Energi Norge

Norwegen will das erste Land sein, das 2050 vollständig elektrifiziert ist. Über den Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft, über Aktivitäten, Widerstände, Chancen und Herausforderungen sprach BusinessPortal Norwegen mit Knut Kroepelien, CEO von Energi Norge, dem Mitgliederverband für Erneuerbare Energien des norwegischen Unternehmerverbandes NHO. Die landesweite Interessen- und Arbeitgeberorganisation vertritt Unternehmen, die in Norwegen Erneuerbare Energien produzieren, transportieren und liefern.
Herr Kroepelien, wie realistisch ist das Ziel der norwegischen Regierung, das Land bis 2050 vollständig zu elektrifizieren?
Norwegen ist im internationalen Vergleich gut aufgestellt, um die erste voll elektrifizierte Gesellschaft weltweit zu werden. Wir haben drei Wettbewerbsvorteile, die uns bezüglich der Elektrifizierung des Landes optimistisch in die Zukunft schauen lassen: Wir erzeugen unseren Strom zu nahezu einhundert Prozent aus erneuerbaren Energien. Wir haben die Stromnetze, die zur Übertragung notwendig sind einschließlich der lokalen Netze für die Heizung, und die Norweger haben Lust auf neue Technologien. Insofern: Ja, das ist absolut realistisch.
In welchen Bereichen müssen die größten Umstellungen erfolgen?
Der Verkehr wird wohl der größte Posten sein, der in den nächsten Jahren elektrifiziert werden wird. Gegenwärtig fahren 250.000 Elektroautos auf unseren Straßen, das sind sieben Prozent des Gesamtbestandes an Pkw. Die Zahl wird weiter wachsen, denn inzwischen machen Elektroautos bei den Neuzulassungen etwa 50 Prozent aus. Momentan haben die E-Autos wegen umfangreicher Förderung so großen Zuspruch. Aber die technologische Entwicklung geht weiter, die Autos werden preiswerter, die Strecken länger, die Attraktivität wächst, so dass die staatliche Unterstützung in den nächsten Jahren heruntergefahren werden kann. Auch Gewerbefahrzeuge werden zunehmend auf Batteriebetrieb umgestellt.
Es gibt bereits etwa 200 elektrische Busse. Bis 2021 werden in den größeren Städten über eintausend Elektrobusse unterwegs sein. Bei den schweren Lkw wird man eher auf Hydrogen oder Biokraftstoff setzen.
Die Industrie steckt ebenfalls mitten in der Umstellung. Der Anschluss der Öl- und Gasplattform Johan Sverdrup Anfang Januar dieses Jahres an ein Stromkabel war ein Meilenstein auf dem Weg zur Elektrifizierung. Die Betreiber anderer Öl- und Gasfelder werden diesem Beispiel folgen.
Beim Bau neuer Gebäude sind wir bezüglich der Elektrifizierung weltweit führend. Die Bauindustrie gehört in Oslo zum Beispiel zu den größten Verursachern von Emissionen. Deshalb wurde hier sehr schnell und konsequent darauf geachtet, dass die Baustellen emissionsfrei arbeiten.
Auch der Flugverkehr leistet seinen Beitrag. Norwegen verfügt über ein Kurzstreckennetz. Es sind viele kleine Flugzeuge unterwegs, die meisten Strecken sind nicht länger als 500 Kilometer. Die Fluggesellschaft Widerøe, die diese Strecken bedient, testet bereits Elektroflugzeuge. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird Widerøe auch Tickets für E-Fly verkaufen. Wir liegen hier sehr weit vorn.
In den vergangenen acht Jahren wurden 80 Fähren elektrifiziert. In diesem Bereich haben norwegische Unternehmen einen gewaltigen Technologiefortschritt erreicht.
Natürlich wird auch Fernwärme eine Rolle spielen.
Wo sind die Herausforderungen am größten?
Die größte Schwierigkeit bei der Umstellung bereiten die chemischen Prozesse in der Industrie. Die Chemieindustrie und die Zementindustrie zum Beispiel verwenden Technologien, die fossile Brennstoffe brauchen. Unser Chemiekonzern Yara ist einer der größten Exporteure von Dünger. In modernen Werken wird Stickstoff-Dünger aus Erdgas hergestellt. Aber auch hier gibt es Fortschritte.
Übrigens entstehen im Zuge der grünen Umstellung viele neue Firmen. Das ist ein großes Plus für die Wettbewerbsfähigkeit Norwegens.
Wenn all diese Bereiche elektrifiziert werden – woher soll der zusätzliche Strom kommen?
Wir rechnen mit einem Bedarfszuwachs von 30 bis 40 TWh – zehn TWh im Verkehr, zehn TWh in der Industrie und zehn bis 15 TWh in der Öl- und Gasindustrie. Heute verbraucht Norwegen jährlich etwa 140 TWh Strom. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen etwa 25 Prozent mehr Strom zur Verfügung stehen. Allein durch den Ausbau und die Modernisierung der Wasserkraft können 10 TWh mehr erzeugt werden. Den Rest muss die Windkraft liefern.
Die Erhöhung der Energieeffizienz ist natürlich ein Teil der Rechnung, vor allem bei den Gebäuden. Allerdings wird die Menge an Energie, die eingespart werden kann, durch den Mehrverbrauch ausgeglichen, den das Bevölkerungswachstum bringen wird.
Wie soll die Wasserkraft weiter ausgebaut werden?
In der Wasserkraft haben wir ein gewisses Potenzial zum Ausbau von etwa zehn TWh. Viel mehr ist nicht drin. Weitere Wasserkraftwerke wird die Bevölkerung nicht akzeptieren, das ist politisch unrealistisch. Außerdem können Wasserkraftanlagen auch wegen der geologischen Gegebenheiten nicht unendlich erweitert werden.
Um im Bereich Wasserkraft in Gang zu kommen, brauchen wir zuallererst eine Reform des Steuersystems für diesen Bereich. Investitionen in die Wasserkraft müssen wieder attraktiv werden.
Ein zweites Problem beim Ausbau der Wasserkraft sind die sehr extremen Wetterbedingungen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben. Die gute Nachricht: Durchschnittlich steht über das Jahr immer genug Wasser zur Verfügung. Die schlechte Nachricht: Durchschnittswerte helfen nicht, wenn man auf der einen Seite Dürre und auf der anderen Seite extremen Niederschlag erlebt, so wie im vergangenen Jahr. Wir hatten einen extrem trockenen Sommer und Überschwemmungen im Herbst. Diese Wetterkapriolen kann unser Energiesystem schlecht auffangen. Das macht die Planung schwierig, die Preise werden mehr schwanken.
Was passiert, wenn die Wasserkraft in heißen Sommern Norwegen nicht mehr versorgen kann?
Wir haben – im Stromverbund mit Schweden – schon im vergangenen Jahr mehr Strom importiert als exportiert. Wir machen uns keine Sorgen, dass die Wasserkraft technisch nicht liefern kann. Es gibt ja genug Wasser. Durch den technologische Ausbau kann man aus den existierenden Wasserkraftwerken mehr herausholen. Aber das alte Steuersystem macht Investitionen uninteressant. Das System muss an den veränderten Markt mit neuen Technologien und Wettbewerb zwischen den Ländern angepasst werden. Das ist unsere wichtigste Aufgabe für die Politik.
Wie ist der aktuelle Stand der Steuerreform?
Im Oktober vergangenen Jahres hat eine Fachkommission einen Bericht über Änderungen vorgelegt – aber mit falschen Schlussfolgerungen. Das hat uns nicht überrascht, denn in der Kommission arbeiteten nur Akademiker mit. Im Januar gab es eine öffentliche Anhörung. Hier haben wir als Wirtschaftsverband unsere Vorschläge unterbreitet. Nun warten wir auf die Antwort der Regierung. Wir hoffen stark, dass ein praktikables System, das zu mehr Investitionen führt, 2021 in Kraft tritt.
Bei Ihrer Rechnung zur Erhöhung der Stromproduktion um 25 Prozent soll die Windproduktion eine große Rolle spielen. Windräder in der norwegischen Landschaft sind von der Bevölkerung aber nicht wohl gelitten.
Ja, die Windenergie ist umstritten. Viele meinen, es sieht nicht schön aus, es tötet zu viele Vögel und es werden zu viele Straßen gebaut.
Wir können Strom importieren, aber es bleiben 15 TWh, die in den nächsten 20 Jahren vom Wind kommen müssen. Das entspricht der gegenwärtigen Kapazität und ist eigentlich nicht viel.
Von unserer Seite sagen wir klar: Es geht nicht um eine umfassende, unkontrollierte Entwicklung, sondern um eine ruhige, ausbalancierte Entwicklung, bei der die Konsequenzen für die Natur gering bleiben.
Warum ist das Thema jetzt so aufheizt? Es wurden ja einige große Windparks gebaut, ohne dass es Probleme gab.
Weil viele Kommunen jetzt einen sehr schnellen Ausbau erwarten. In den vergangenen Jahren wurde tatsächlich schnell gebaut, um die staatliche Förderung für erneuerbare Energien abzugreifen.
Als das Direktorat für Wasserressourcen und Energie NVE im April 2019 einen nationalen Rahmenplan für die Entwicklung der Windenergie vorgestellt hat, dachte jeder, der Ausbau werde nun mit einem großen Schub vorangetrieben. Aber das Dokument war kein Ausbauplan, sondern der Versuch, Erfahrungen und Fachkenntnisse mittels einer Landkarte zu systematisieren.
Es gibt drei Aspekte, die bei der Windproduktion an Land berücksichtigt werden müssen: Erstens sind wir ein Volk der Wanderer und Naturmenschen. Zweitens wollen die Kommunen stärker an der Wertschöpfung beteiligt sein. Das ist eine berechtigte Forderung. Die Kommunen sollten einen größeren Teil der Einkünfte erhalten und lokale Betreiber sollten stärker zum Zuge kommen. Wenn mehr und mehr ausländische Firmen die Windparks bauen und betreiben und der Strom dann noch exportiert wird – was haben die Norweger davon?
Und schließlich lässt sich der Nutzen der Windparks für die Umwelt in Norwegen schwer erfassen. In Deutschland werden Windräder aufgestellt, damit Kohlekraftwerke verschwinden. Hier gibt es den direkten Austausch nicht. Also stellen sich viele Norweger die Frage: Wozu brauchen wir noch mehr Erneuerbare Energien?
Schreckt die Ablehnung der Windkraft ausländische Investoren ab?
Ihre Frage zielt sicher auf den Windpark in Frøya, an dem die Stadtwerke München beteiligt sind und dessen Bau im vergangenen Jahr wegen verschiedener Proteste in der Kommune unterbrochen wurde. Gerade dieses Projekt hat aber gezeigt, dass Norwegen ein voraussehbarer Rechtsstaat ist, wo man sich auf Entscheidungen verlassen kann. Die Situation wurde schnell geklärt. Norwegen ist ein zuverlässiger Partner.
Norwegen ist per Stromkabel mit den Niederlanden und Dänemark verbunden. Neue Kabel nach Deutschland und England sind im Bau. Für Schottland ist ein neues Kabel beantragt. Während für die bestehenden und im Bau befindlichen Projekte ein großer Konsens besteht, dass die Stromtrassen auf dem Meeresboden wichtig und wirtschaftlich sinnvoll sind, wird über das North-Connect-Kabel nach Schottland gestritten. Warum?
Es gibt keine grundsätzliche Diskussion, ob Norwegen in das europäische Stromnetz integriert werden soll. Jeder konnte im vergangenen Jahr erfahren, wie wichtig es vor allem für die Industrie war, dass wir die Möglichkeit des Stromimportes hatten. Sonst hätten wir ganz andere Preise gesehen.
Bei North-Connect handelt es sich nach einer Analyse der Behörden volkswirtschaftlich um ein sehr positives Projekt. Die Interaktion zwischen Wind in Schottland und Wasser in Norwegen bringt beiden Ländern Vorteile. Für Norwegen rechnet man mit einem Gewinn von acht Milliarden Kronen. Der Steuerzahler wird durch den Bau nicht belastet.
Klimapolitisch hat das Vorhaben für Schottland ein großes Gewicht, weil sich der Verbrauch von Gas und Kohle reduziert. Allein durch den geringeren Verbrauch von Erdgas könnten zwei Millionen CO2 pro Jahr gespart werden.
In der Diskussion ist dieses Kabel wegen befürchteter Preiskonsequenzen für die norwegischen Verbraucher. Am Anfang der Lebenszeit des Kabels muss man mit einer marginalen Erhöhungen rechnen, aber langfristig können die billigen Windenergiepreise in unsere Preisstruktur implementiert werden. Die Frage wird akademisch und in Wirtschaftskreisen diskutiert. Einige meinen, wir sollten abwarten und sehen, welche Preisentwicklungen die Kabel nach England und Deutschland bringen. Die Position unseres Verbandes ist eine andere: Die Klimakrise gibt uns keine Zeit zu warten. Wenn das Projekt wirtschaftlich günstig ist, muss man das Kabel jetzt bauen.
Wie werden sich die Energiepreise in Norwegen insgesamt entwickeln?
Langfristig werden die Preise niedrig bleiben, aber wir müssen mit größeren Differenzen innerhalb von Tagen rechnen.
Höhere CO2 Preise durch das europäische Emissionshandelssystem wird zu leichten Preissteigerungen führen, aber diese werden durch den guten Zugang zu den Erneuerbaren Energien gedämpft – allerdings nur, wenn, wie bereits erklärt, ein neues Steuersystem im Bereich Wasserkraft zu mehr Investitionen und damit zu einem Ausbau der Produktion führt.
Ich sehe bis 2040 einen leichten Anstieg um höchstens ein bis zwei Øre. Letztlich hängt die Preisentwicklung vom politischen Willen ab, CO2 zu preisen. Fakt ist: Wir werden nicht so hohe Preise haben wie in den EU-Ländern.
Abgesehen von dem großen Projekt des Unterseekabels Nordlink zwischen Deutschland und Norwegen, das in diesem Jahr testweise den ersten Strom liefern wird – wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern im Bereich der Erneuerbaren Energien?
Unser Paradebeispiel der deutsch-norwegischen Zusammenarbeit in diesem Gebiet ist natürlich Statkraft, Europas größter Produzent Erneuerbarer Energien. Das Unternehmen, das seit vielen Jahren als Systemoperator in Deutschland arbeitet und mehrere Firmen und Anlagen in Deutschland betreibt, baut sein Engagement ständig weiter aus. In der Consulting-Branche beraten norwegische Unternehmen deutsche Firmen bei der Elektrifizierung des Verkehrs. Norwegische Unternehmen sind außerdem beteiligt an der Installation von Ladegeräten für Elektroautos und umgekehrt und am Ausbau der Netzinfrastruktur. Im Bereich der Windenergie gibt es mehrere Kooperationen.
Gibt es Themen, bei denen Deutschland und Norwegen vor denselben Problemen stehen– Bereiche, wo man voneinander lernen kann?
In vielen Ländern wird in einer Phase der starken Elektrifizierung der Ausbau der Netzkapazität unterschätzt. Wir reden viel über die Erneuerbaren Energien und darüber, wie der Ausbau unterstützt werden kann. Aber ich denke, die momentane Nachfrage durch Elektrifizierung von Heizung oder Ladegeräte für Elektroautos wird eine riesige Herausforderung für das Übertragungsnetz. Es geht nicht nur um die großen Trassen Nord-Süd und Windkraft, sondern es geht um das klein Netz. Der Ausbau muss klug gesteuert werden, ohne zu hohe Investitionen, die der Kunde nicht akzeptieren wird. Wenn wir immer wieder in neue Netze investieren, dann werden wir eine Preisspirale in Gang setzen, so dass die meisten Leute keine Lust mehr haben auf die Klimaumstellung. Aber wenn wir mit kompetenten Netzbetreibern, Digitalisierung und den richtigen Preisen und Tarifen arbeiten, können wir die Kosten niedrig halten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jutta Falkner.
Zur Person
Knut Kroepelien (48), Rechtsanwalt mit Abschlüssen der University of Bergen und einem Master-Abschluss in EU-Recht der London School of Economics (LSE), ist seit 1. Januar 2019 CEO des Unternehmerverbandes Energi Norge. Zuvor leitete er die Abteilung für Industriepolitik, Märkte und Kunden. Vor seinem Einstieg bei Energi Norge im Jahr 2013 arbeitete Knut Kroepelien als Abteilungsleiter im Ministerium für Klima und Umwelt und als Botschaftsrat der norwegischen EU-Delegation bei der Europäischen Kommission in Brüssel.
Knut Kroepelien spricht fließend deutsch.
Winterkonferenz 2020 von Energi Norge vom 25. bis 27. März in Hamburg
Die diesjährige Wintertagung 2020 des Unternehmerverbandes Energi Norge wird in Hamburg stattfinden. Hier werden die wichtigsten Trends in der europäischen Energieumwandlung, die Rolle des Handels bei der Einführung Erneuerbarer Energie und die Rolle Norwegens als Motor der Elektrifizierung besprochen.
Hier können Sie sich zur Konferenz anmelden.