
Trondheim, 28. Januar 2019. Siemens eröffnete am 28. Januar in Trondheim eine Fabrik für die Produktion von Batteriesystemen für den Marine- und Offshoremarkt. 55 Module sollen in dem voll automatisierten Werk täglich pro Schicht montiert werden. Wie Siemens mitteilt, gehört das Werk zu den fortschrittlichsten Batteriemodulfabriken weltweit.
Acht Roboter von Kuka schwenken – sicher in Käfigen stationiert – ihre Arme. Sieben autonome Transporteinheiten, sogenannte AIVs (Automative Intelligent Vehicles), bringen Teile von der Materialausgabe zu den Produktionseinheiten. Einer dieser kleinen Roboter heißt Erna, einer heißt Juergen.
Gerade drei Leute beaufsichtigen pro Schicht das Treiben in der Halle. Die Fabrik umfasst eine robotisierte und digitalisierte Produktionslinie mit acht Roboterstationen mit einer Kapazität von bis zu 300 Megawattstunden (MWh) pro Jahr. Vom Auspacken der eingehenden Produktionsteile bis zur Prüfung des fertigen Batteriemoduls läuft die Montage komplett automatisiert ab. Eine Batterie besteht aus neun Batteriemodulen, wobei sich jedes Modul aus 28 Batteriezellen zusammensetzt.
In dieser Halle könnten auch Autos oder Kühlschränke gebaut werden. Vom eigentlichen Produkt ist nicht viel zu sehen. Erst in der Nachbarhalle erschließt sich der Gegenstand der Produktion beziehungsweise Montage. Hier werden alle Teile des Batteriesystems, inklusive der Batteriezellen, die in einer chinesischen Fabrik in Südkorea gebaut und in Trondheim aufgerüstet werden, in Schaltschränken miteinander verkabelt und mit der entsprechenden Software ausgerüstet – per Hand. So bringt es die Fabrik insgesamt auf ungefähr 25 Mitarbeiter. Im Siemens-Werk in Trondheim insgesamt sind mehr als 300 Mitarbeiter im Bereich Elektrotechnik/Automatisierung vorrangig für die Öl- und Gasindustrie und den Transportsektor beschäftigt.
Etwa zwölf Millionen Euro hat Siemens in die neue Batteriemodulfabrik investiert. Eine kleine Summe für eine Fabrik, die so große Beachtung findet. Immerhin war dieses Investment für Erna Solberg, der Ministerpräsidentin des Landes, wichtig genug, um sich auf den Weg von Oslo nach Trondheim zu machen und das rote Band zur Eröffnung der Fabrik durchzuschneiden.
Für Siemens selbst ist das Werk ein Märchen, erklärte die Moderatorin auf der Bühne voller Überschwang. Es begann mit einer Studie, die das Unternehmen gemeinsam mit der norwegischen Umweltorganisation Belona zur Elektrifizierung der Schifffahrt erarbeitete. Der Konzern und die NGO-Aktivisten waren sich einig, dass 70 Prozent der Schiffe, die weltweit unterwegs sind, bis 2030 elektrifiziert werden können. Zur Arendalsuka, dem wichtigsten Ereignis in Norwegen, das Vertreter auf Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringt, haben die Partner das Projekt vorgestellt. Die Regierung war angetan. “Die Regierungspartei Høyre änderte ihre Politik”, erklärt die Kommunikationschefin von Siemens Norge, „und das war der Beginn einer wunderbaren Entwicklung.” Ein Rechtsrahmen für den Einsatz von Elektrofähren wurde geschaffen und das Ziel der norwegischen Regierung, die weltweite Führerschaft im Bereich Elektromobilität, wurde auf die Schifffahrt ausgedehnt. Das schloss eine entsprechende finanzielle Förderung ein.
Regulierung beim Klimaschutz notwendig
“Als Konservative bin ich eigentlich kein Freund von Regulierung. Aber im Umweltbereich ist Regulierung momentan notwendig”, erklärte die Premierministerin zur Eröffnungsfeier. Wer in Norwegen heute eine öffentliche Ausschreibung zum Bau einer Fähre gewinnen will, kann Angebote mit Dieselantrieb vergessen. Neue, von der öffentlichen Hand betriebene Fähren müssen in Oslo emissionsfrei sein.
2015 wurde die erste elektrische Fähre “Ampere” in Betrieb genommen – mit einem Batteriesystem, das Siemens und das kanadische Unternehmen Corvus Energy in Partnerschaft entwickelten. “Ampere” hat alle Erwartungen bezüglich Umweltverträglichkeit und Kosteneinsparung übertroffen. Verglichen mit Fähren mit herkömmlichen Antriebssystemen verursacht die Elektrofähre 95 Prozent weniger CO2-Emissionen. Die Betriebskosten konnten um 80 Prozent reduziert werden.
Inzwischen sind mehrere Autofähren mit Null-Emissionen auf den Fjorden unterwegs, nicht alle sind mit Siemens-Technik ausgerüstet. Just an dem Tag, an dem in Trondheim die Eröffnung der Fabrik gefeiert wurde, teilte der kanadische Siemens-Konkurrent Corvus Energy mit, dass sein norwegisches Tochterunternehmen Norwegian Electric Systems (NES) fünf neue, vollelektrische Fähren, die von Havyard für den norwegischen Fährbetreiber Fjord1 gebaut werden, mit einem auf Lithium-Ionen-Batterien basierenden Energiespeichersystemen (ESS) ausgewählt wurde. Im Frühjahr 2018 hatte Corvus Energy die Pläne für eine neue vollautomatische Fabrik für Schiffsbatterien im norwegischen Bergen veröffentlicht, im dritten Quartal dieses Jahres soll die Produktion starten.
Siemens ließ sich die Feierlaune dadurch nicht verderben. Der Markt für elektrisch betriebene Schiffe bietet genug Möglichkeiten für Siemens und Corvus.
“Wir gehen davon aus, dass dieser Markt in Zukunft deutlich wachsen wird. Aus diesem Grund haben wir stark in die Entwicklung sicherer und zuverlässiger Batterielösungen investiert“, sagt Bjørn Einar Brath, Leiter Offshore Solutions bei Siemens.
Großes Potenzial auch für Exporte
Kleine Fähren sind nur der Anfang. Im Sommer dieses Jahres wird das weltweit größte Hybridschiff von Color Line auf der Strecke Sandefjord-Strömstad eingesetzt, das mit einem Batteriesystem von Siemens ausgerüstet ist. Helge Otto Mathisen, Executive Vice President Communications & Public Affairs der Color Line AS, war ebenfalls nach Trondheim gereist, um sich die Fabrik anzusehen. Schließlich wird hier die Technik entstehen, mit der für Color Line eine neue Entwicklungsetappe, die Elektrifizierung der Flotte, beginnt. Der Schaltschrank für die Fähre wird eine Länge von 20 Metern haben.
Norwegische Unternehmen sind weltweit führend bei der Elektrifizierung des Schiffsverkehrs. Mit der globalen Entscheidung, stark in maritime Batteriesysteme zu investieren, will Siemens in diesem Bereich auch auf dem internationalen Markt wachsen. „Wir sehen auch außerhalb Norwegens ein großes Interesse an solchen Lösungen. Die neue Batteriefabrik wird also vor allem einen internationalen Markt bedienen“, so Brath weiter.
Erna Solberg erklärte, dass diese einmalige Entwicklung hin zu elektrisch betriebenen Schiffen in erster Linie wegen des hohen Bildungsniveaus in Norwegen möglich ist. “Brainpower ist in Norwegen so bedeutend wie Hydropower”, sagte die Ministerpräsidentin. Solberg erinnerte daran, dass Norwegen das beste Land weltweit beim Einsatz von Elektroautos sei. Allerdings produziere Norwegen keine Autos, aber Schiffe. Insofern komme die Produktion von Batteriesystemen in Norwegen eine ganz besondere Bedeutung zu.
Nild Kristian Nakstad, CEO der Entwicklungsgesellschaft Enova, verwies auf die vielfältigen Möglichkeiten des Einsatz neuer Technologien bei der Entwicklung von Schiffen und beim Ausbau der Infrastruktur. Sowohl Batterien als auch Hydrogen und LNG würden in nächster Zeit zunehmend zur Anwendung kommen. Norwegen sei in allen Bereichen schon heute führend. Der Enova-Chef sieht für die Batteriemodule ein großes Exportpotenzial für Norwegen. Sein Unternehmen werde all die Technologien finanziell unterstützen, die zu einem emissionsfreien Transportsystem beitragen.
Gunnar Bovim, Rektor der Technischen Universität Trondheim NTU und Aufsichtsratsvorsitzender von Innovation Norway, hob den Beitrag seiner Studenten an der Entwicklung von innovativen Technologien in Norwegen hervor. Viele Entwicklungen seien von jungen mutigen Menschen in ihren Masterarbeiten angestoßen worden, so Bovim.
Vor allem wegen dieser Vorreiterrolle und weil in Trondheim das Technologie- und Produktionsumfeld für elektrische Lösungen in Schiffen und Offshore-Anwendungen stimmt, fiel die Wahl des Standorts auf Trondheim. „In Trondheim haben wir uns in den vergangenen Jahren ein Kompetenzzentrum für Elektro- und Hybridlösungen aufgebaut. Dieses hat die globale Unternehmensführung so sehr beeindruckt, dass wir nun für die Entwicklung neuer Batteriesysteme verantwortlich sind“, sagt Anne Marit Panengstuen, CEO der Siemens AS.
In Trondheim wegen der Leute
Die Nähe zu ambitionierten Kunden im norwegischen maritimen Umfeld sowie die Offensive der Politik für emissionsarme Lösungen habe Siemens ebenfalls bestärkt. Juergen Brandes, CEO, Process Industries and Drivers Division von Siemens, Nürnberg, bestätigte, dass Siemens vor allem wegen der Leute Trondheim als Standort gewählt hat. “Zuerst braucht es Ideen, und dann die Leute, die dafür brennen”, sagte Brandes während der Podiumsdiskussion zur Eröffnungsfeier. Trondheim sei ein Hub mit Universitäten, innovativen Firmen, Firmen im Schiffbau und in der Öl- und Gasindustrie, die Bedarf an den Siemens-Batteriemodulen hätten. Auch der Markt in der Fischereiindustrie sei riesig.
Inzwischen wurde sieben Fähren ausgeliefert. Bestellungen für die Batteriesysteme liegen aus den USA, der Türkei, den Niederlanden, Deutschland, Polen und Schweden vor.
Bisher wurde der Markt weitgehend von Elektrofähren angetrieben, aber auch Fischerboote, Arbeitsschiffe für die Aquakultur und Offshore-Anlagen bieten ein großes Potenzial. Der weltweit ersten Fischkutter “Elfriede” fährt ebenfalls mit einem Siemens-Batteriesystem. Vor kurzem erhielt die Siemens-Fabrik ihren ersten Auftrag zur Montage von Batterien für den Einsatz auf einer Bohrinsel. West Mira wird die weltweit erste Bohranlage sein, die mit einer modernen Batterielösung betrieben wird. Experten gehen davon aus, dass eine solche Batterielösung den jährlichen Kraftstoffverbrauch um zwölf Prozent, die jährlichen Kohlenstoffdioxid- Emissionen um fünfzehn Prozent und die jährlichen Stickoxide-Emissionen um zwölf Prozent reduzieren kann.

Solche Zahlen hört Erna Solberg gern. Vor dem Fachpublikum in Trondheim machte sie noch einmal klar, dass die Elektrifizierung der Schifffahrt eine notwendige Maßnahme darstellt, um die Klimaziele des Landes zu erreichen. Schließlich hat der Transportsektor den größten Beitrag zur Reduzierung des Co2-Ausstoßes zu leisten.
So signierte sie gemeinsam mit Juergen Brandes mit Freude die kleinen Roboter Erna und Juergen, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Welt ein bisschen besser wird.
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