Vertrauen als Voraussetzung für Glück

Dass in Skandinavien die glücklichsten Menschen der Welt leben, ist wohl bekannt. Welchen Beitrag der Arbeitsalltag zum Glück in Norden leistet, hat Maike van den Boom jetzt in ihrem neuen Buch “Acht Stunden Glück” beschrieben. BusinessPortal Norwegen fragte Maike van den Boom, Autorin und Glücksforscherin, nach den Erkenntnissen ihrer Recherchen.

Frau van den Boom, Ihr erstes Buch über das Glück ging der Frage nach, warum die Menschen in den dreizehn glücklichsten Ländern der Welt so glücklich sind. Jetzt konzentrieren Sie sich auf Skandinavien und den Arbeitsalltag. Warum diese beiden Schwerpunkte?
Beim ersten Glücksbuch habe ich in erster Linie Leute auf der Straße gefragt. Dabei habe ich allgemein erfahren, das es bestimmte Werte sind, die zum Glücklichsein allgemein beitragen. Jetzt habe ich das Arbeitsleben und die Frage beleuchtet: Arbeiten Skandinavier glücklicher und was können wir von ihnen lernen? Ich habe vom Gesellschaftseben auf das Berufsleben eingezoomt, denn wenn wir wach sind, verbringen wir die meiste Zeit am Arbeitsplatz. Wenn wir dort nicht glücklich sind, wird es schwierig mit dem rundum glücklichen Leben. Ich erwartete, die Werte, die Menschen und Gesellschaften glücklich machen, auch im Berufsleben wiederzufinden: Vertrauen, Freiheit, Gelassenheit, Respekt zum Beispiel. Warum die Skandinavier? Sie gehören im Gegensatz zu uns zu den glücklichsten Menschen der Welt und sind uns doch geographisch so nahe. Wie kann das sein?

Warum ist das Glück im Norden beheimatet?
Natürlich gibt es dafür sehr viele Erklärungen. Mich überzeugt der Gedanke des Miteinanders. In Deutschland ist das Denken “Die da…” ziemlich ausgeprägt. Im Norden geht es mehr um das “Wir”. Vielleicht hat das mit der Größe der Länder zu tun. Kleine Länder können nur durch Kooperation überleben.

Es gibt in Europa viele kleine Länder, in denen die Menschen nicht annähernd so glücklich sind wie in Skandinavien. Hat das Glück auch etwas mit dem hohen Lebensstandard zu tun?
Der hohe Lebensstandard kam ja nicht von ungefähr, und Öl und Gas ist auch nicht die Ursache allen Glücks. Mit Wohlstand hat Glück generell nur bedingt zu tun. Auch Deutschland ist ein reiches Land. Glück benötigt andere Faktoren…

Was läuft anders als Deutschland?
Der Gedanke ist ganz einfach. Ein Bauarbeiter aus Schweden hat das schön ausgedrückt: „Wir nutzen alle – das Beste von allen.“ Sprich: Menschen sollen so weit wie möglich sie selbst sein können. Mit ihren Stärken und Schwächen, ihrem persönlichen Leben. Gerade das macht sie so einzigartig. Und wenn man dann dafür sorgt, dass sich all diese Menschen ergänzen, und sie alle in eine Richtung streben, dann hat man die Erklärung dafür, weshalb die Skandinavier so glücklich, aber auch wirtschaftlich so erfolgreich sind.

Und diese Kombination aus Zusammengehörigkeit und Individualismus wird schon in der Schule gefördert. Es gibt in Norwegen erst ab der 8. Klasse Noten – Schüler können sich also nicht durch besondere Leistungen von anderen absetzen. Gleichzeitig existiert ein sehr ausgeprägtes Fördersystem, so dass jeder Schüler seine Fähigkeiten ganz individuell entwickeln kann.

Was heißt das für Unternehmen?
Die Philosophie der Mitarbeiter lautet: Ich werde mich nicht verstellen, was ich zu sagen habe, ist wichtig. Diese Philosophie ist das Erfolgsrezept vieler Unternehmen. Aufgabe des Management ist es, Teams zusammenzuführen, in denen sich diese Einzigartigkeit zum Nutzen des Unternehmens entfalten kann. Teams bestehen aus Introvertierten, Extrovertierten, Erfahrenen und Quereinsteigern, Alten, Jungen, Lustigen oder eher stillen Leuten. Man braucht alle. Und wenn ein Mitarbeiter von der Materie keine Ahnung hat – vielleicht ist er ja wertvoll für die Firma, weil er gerade deshalb die richtigen Fragen stellt. Skandinavier sind Komponisten.

Man lässt die Mitarbeiter tun, was sie am besten können. Die Führungskräfte haben eher die Funktion eines Coaches, das Management steht nicht über den Mitarbeitern.

Worin besteht die Herausforderung, ein solches Unternehmen zu managen und entsprechende Ergebnisse zu erzielen?
Die Unternehmen sind unstrukturierter als in Deutschland, zumindest fehlen die straffen Hierarchien und die Kontrolle. Oft werden Mitarbeiter einfach ins kalte Wasser geworfen. Sie bekommen einen Schreibtisch und müssen zusehen, wie sie klarkommen. Und das funktioniert. Das Management kontrolliert nicht, es vertraut.

Man ist gelassener am Arbeitsplatz, es werden wenig Grenzen gezogen. Dafür sagen Mitarbeiter zu zusätzlichen Aufgaben eher “ja” als “nein”.

Allerdings gehen Führungskräfte in skandinavischen Unternehmen – bei allem Vertrauen – davon aus, dass Anweisungen ohnehin nicht eins zu eins befolgt werden. Diese selbstbewussten Mitarbeiter hinterfragen alles und jeden – bieten aber gleichzeitig die aus ihrer Sicht beste Lösung an, nach dem Motto: “Ich mache das, weil ich denke, dass es funktioniert.” In Deutschland würde das zu Konflikten führen, weil Führungskräfte davon ausgehen würden, dass ihre Kompetenz in Frage gestellt wird. Im Norden ist man froh, das Menschen mitdenken…

Das klingt allerdings nach einer großen Debattenkultur in skandinavischen Unternehmen.
Ja, der Dialog ist die Königsdisziplin in Skandinavien. Manchmal nervt das auch.  Allerdings führt das ständige Hinterfragen dazu, dass Mitarbeiter die Ziele des Unternehmens oder einzelner Projekte besser verstehen, also auch sehr zielorientiert vorgehen.

Kommt denn mit dieser Freiheit jeder klar?
Es geht ja nicht nur um Freiheit. In Skandinavien spielt der Ausdruck “frihet under ansvar” eine große Rolle. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen.

Etwa 90 Prozent der Mitarbeiter kann man vertrauen. Sie arbeiten eher mehr als weniger. Den zehn Prozent, die das nicht tun, wird etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das ist allemal besser, als einhundert Prozent der Mitarbeiter zu kontrollieren und ihnen mit Regeln die Energie zu entziehen.

Was können deutsche Manager nun aus Skandinavien lernen?
Loslassen, Menschen laufen lassen. Mehr das Individuum glänzen lassen, so dass jeder das Gefühl hat, wichtig für die Gemeinschaft zu sein. Dann sind Menschen auch bereit, gemeinsam in eine Richtung zu rudern und extra Einsatz zu zeigen.

Sie haben Mitarbeiter in 30 skandinavischen Unternehmen befragt, in Norwegen unter anderem Yara und Siemens. Nach welchen Kriterien haben Sie die Firmen ausgewählt?
Ich habe versucht, die insgesamt 30 Unternehmen in Norwegen, Schweden und Dänemark so unterschiedlich wie möglich zusammenzustellen, was Branche, Größe und Produkt angeht. Und auch in den Unternehmen habe ich nicht nur mit der Geschäftsführung und der Personalabteilung gesprochen, sondern vor allem mit den Krankenschwestern, Bauarbeitern und den Mitarbeitern in der Produktion. Von Elle Melle, einer kleinen Internetberatungsfirma in Ålesund, über einen börsennotierten Baukonzern, eine Fluglinie, einen Lastwagenhersteller, einen U-Bahn Betreiber bis zu einem bekannten Möbelhaus aus Schweden. Quer Beet. Denn ich wollte klar machen, dass diese Art des Umgangs miteinander nicht nur bei trendigen IT–Unternehmen oder Startups möglich ist, sondern auch bei „ normalen“ Unternehmen. Und dann habe ich genommen, was ich bekommen konnte. (Lachen). So ist ein interessanter Mix aus kleinen und große Firmen, börsennotierten und familiengeführten, traditionellen und innovativen Unternehmen entstanden, die uns zeigen, dass glückliche Mitarbeiter kein Hexenwerk sind, sondern einfach eine Sache des Herzens.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jutta Falkner.
© Evia Photos. www.eviaphotos.com

 

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