Das Tochterunternehmen des deutschen Technologiekonzerns in Norwegen, Siemens Norge, gehört zu den Vorreitern der Entwicklung innovativer Lösungen für Antriebssysteme im maritimen Sektor und für Energieübertragungssysteme in der Öl- und Gasindustrie. Im September eröffnet das Unternehmen in Trondheim eine Fabrik für die Produktion von Batteriesystemen im maritimen Bereich. BusinessPortal Norwegen sprach mit Anne Marit Panengstuen, CEO Siemens Norway und Präsidentin der Deutsch-Norwegischen Handelskammer, über Norwegen als Entwicklungs- und Produktionsstandort und die Entwicklung von Siemens Norge in guten wie in schlechten Zeiten.
Frau Panengstuen, Siemens startet im Herbst mit der Produktion von Batteriesystemen in Trondheim. Was bedeutet diese Investition für den Industriestandort Norwegen?
Siemens Norge schaut in Trondheim auf eine lange Tradition in der maritimen Industrie zurück und hat in diesem Bereich sowie in der Öl- und Gasindustrie sehr viel Kompetenz aufgebaut, in jüngster Zeit speziell in der Entwicklung elektrischer Antriebssysteme für maritime und offshore-Lösungen. Die Nachfrage nach diesen Antriebssystemen wächst enorm. In einem Umfeld mit immer strikteren Emissionsanforderungen werden immer mehr Schiffseigner ihre Boote elektrifizieren. Da ist es nur logisch, nun mit der Produktion, oder besser Montage von Batteriesystemen für die Schiffsbauindustrie zu starten.
Dieses Werk in Trondheim ist voll automatisiert, so dass weniger als 20 Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt sein werden. Wir setzen damit ein Zeichen für die Industrie in Norwegen und auch für Unternehmen weltweit: Es lohnt sich, in Norwegen zu produzieren, auch wenn das Kostenniveau hoch ist. Innovative Technologien, Automatisierung und Digitalisierung machen es möglich.
Sie meinen, mit Digitalisierung und Automatisierung werden Unternehmen ihre Produktion nicht mehr in Billiglohnländer verlagern?
Ja, ich denke, hier wird sich etwas ändern. Siemens hat weltweit 360.000 Mitarbeiter, aber nur eine kleine Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Trondheim ist verantwortlich für ein neues Batteriesystem. Wir haben die Technologieführerschaft und sind damit das globale Kompetenzzentrum für elektrische Antriebssysteme in der maritimen Wirtschaft. Mit der Batteriefabrik werden Know-how und Produktion unter einem Dach miteinander verbunden sein. Die Kernkompetenz bleibt im Haus und auch die wesentlichen Komponenten werden hier hergestellt. Das ist effizient und auch umweltfreundlich.
Siemens hat sich kürzlich am schwedischen Batteriehersteller Northvolt beteiligt. Welche Synergien werden sich daraus für das Werk in Trondheim ergeben?
Die Batteriezellen für unser Werk in Trondheim kommen aus China. Eine Diversifizierung der Zulieferer ist immer gut. Insofern könnte die Fabrik in Schweden eine gute Quelle sein. Aber es gibt hierzu noch keine Entscheidungen.
Welche revolutionären Neuerungen darf man in nächster Zeit von Siemens Norge erwarten?
Unser Kompetenzzentrum in Trondheim ist gemeinsam mit Partnern aus der Öl- und Gasindustrie an der Entwicklung eines umfassenden Tiefsee-Stromnetzes (Subsea Power Grid) beteiligt. Im Subsea Technology Center in Trondheim werden die Bestandteile dieses Stromnetz für den Meeresboden entwickelt. Die Komponenten dieses Netzes, also Transformatoren und Schaltanlagen, müssen einem großen Druck über viele Jahre standhalten. Das Projekt ist eine der wichtigsten Initiativen in der Offshore-Öl- und Gasindustrie, um die Tiefseeverarbeitung weiter voranzubringen. Es wird eine Schlüsselrolle bei der Errichtung von künftigen Tiefseefabriken spielen.
Siemens Norge war und ist gemeinsam mit anderen Siemens-Töchtern an zahlreichen innovativen Lösungen beteiligt, die in Norwegen zum Einsatz kamen und kommen: der erste elektrische Kutter, die erste elektrische Fähre, ein E-Highway-Projekt, E-Flying, E-Trucks, E-Bagger. Was macht Norwegen als Standort für Innovationen für Siemens so interessant?
Alle Innovationen, die zur Reduzierung der Treibhausgase beitragen, haben einen hohen Stellenwert auf der politischen Agenda der norwegischen Regierung. Norwegen ist in der komfortablen Situation, keine Kohlekraftwerke zu besitzen, sondern gewinnt den Strom nahezu zu einhundert Prozent aus erneuerbaren Energien. Das hat aber auch zur Folge, dass es keine Kohlekraftwerke zum Abschalten gibt. Das heißt, Einsparungen erheblicher Mengen von CO2 müssen vorrangig im Transportsektor erfolgen. Und das wird von der Regierung in vielerlei Hinsicht gefördert.
Darüber hinaus gibt es in Norwegen eine große Akzeptanz in der Bevölkerung bezüglich neuer Entwicklungen. Das sieht man an den Elektroautos. Norwegen ist ein Labor für E-Cars. Diese Erfahrung wollen wir auf die Industrie übertragen: im Transportbereich, im maritimen Sektor, im Bauwesen.
Für Siemens ist die Elektrifizierung ganzer Branchen ein sehr interessantes Geschäftsfeld. Norwegen spielt hier eine Vorreiterrolle, also liegt es nahe, dass wir unsere neuen Entwicklungen hier zuerst zur Anwendung bringen.
Beispielsweise rüstet Siemens mehr und mehr norwegische Kommunen mit Bus-Ladestationen aus, die in Deutschland gebaut werden. Das wird auch ein neues Feld für die Schiffsindustrie. Gegenwärtig engagieren wir uns stark in der Erneuerung der Antriebssysteme für Schiffe, die nur kurze Strecken zurücklegen. Aber in der Zukunft braucht Norwegen auch Ladestationen entlang der Küste. Diese müssen entwickelt und gebaut werden.Wir sehen also die Marktchancen, den politischen Willen und die Offenheit der Bevölkerung als eine gute, solide Grundlage für unser Engagement in Norwegen.
Gibt es ein Projekt, an das Sie persönlich Ihr Herz gehängt haben?
Das ist eine schwierige Frage. Die Geschichte der ersten Elektrofähre, für die Siemens das Antriebssystem geliefert hat, lässt sich wie ein Märchen erzählen. Wir sind sehr stolz darauf. Wir haben diese Technologie in Norwegen entwickelt und sind in der Lage, sie heute weltweit zu exportieren. Ja, im Bereich Fähren engagieren wir uns am meisten und daran hängt mein Herz auch ganz besonders.
Die niedrigen Ölpreise der vergangenen Jahre haben auch Ihrem Unternehmen zugesetzt, da Siemens Norge eng mit der Öl- und Gasindustrie zusammenarbeitet. Welche Maßnahmen haben Sie unternommen, um über die schwierige Zeit zu kommen und wie sind Sie für die nächsten Jahre gerüstet?
Auch unser Unternehmen hat rote Zahlen geschrieben und musste die Zahl der Mitarbeiter reduzieren. Aber wir haben diese Zeit auch als eine Chance gesehen, weil die gesamte Öl- und Gasindustrie Kosten senken, die Effizienz steigern und Emissionen reduzieren musste. Die Unternehmen haben nach neuen Lösungen gefragt, um dies zu erreichen. Beispielsweise sollten Technologien für Plattformen entwickelt werden, für die weniger oder gar keine Mitarbeiter mehr notwendig sind.
Auch wir sind in dieser Zeit effizienter geworden. Inzwischen stellen wir auch wieder Mitarbeiter ein.
Und wann kehrt Ihr Unternehmen in die Gewinnzone zurück?
Noch nicht in diesem Jahr, aber 2019. Wir investieren sehr viel in die Entwicklung im Bereich Subsea und Batteriesysteme, deshalb werden wir in diesem Jahr noch keinen Gewinn erwirtschaften.
Der staatliche Energiekonzern Statnett hat Siemens Anfang dieses Jahres von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, weil Mitarbeiter nicht regelkonform bezahlt wurden. Wie konnte das passieren und was haben Sie daraus gelernt?
Es gibt in Norwegen sehr strenge Regelungen bezüglich des Mindestlohnes. Wir hatten auch mit Statnett vorab diskutiert, welcher Tarif bei diesem Auftrag gültig ist. Daran hat sich eine slowakische Firma, die von der Siemens-Tochter in Kroatien mit Arbeiten in Norwegen beauftragt war, aber nicht gehalten. Und wir haben sie nicht gründlich genug kontrolliert.
Wir haben jeden Stein umgedreht, um herauszufinden, was falsch gelaufen ist, und über Monate jeden Pfennig nachgerechnet, was gezahlt wurde und was hätte gezahlt werden müssen. Wir haben schnell sichergestellt, dass jeder Arbeiter seinen Lohn erhält, der ihm nach norwegischem Recht zusteht. Wir haben auch alle unsere internen Abläufe einer genauen Prüfung unterzogen, um zu garantieren, dass so ein Dilemma nicht wieder passiert. Wir werden künftig aufmerksamer sein.
Wir haben Statnett über all diese Ergebnisse informiert und warten nun auf die Entscheidung, dass sich Siemens wieder an Ausschreibungen beteiligen darf.
Wie schätzen Sie als Präsidentin der Deutsch-Norwegischen Handelskammer die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Norwegen ein?
Wir befinden uns in einer schwierigen Zeit – mit der weltweiten Tendenz zu mehr Protektionismus, amerikanischen Handelsbarrieren und dem Brexit. Die Beziehung zwischen Deutschland und Norwegen aber sind enger als je zuvor.
Ich sehe vor allem den Ausbau der Infrastruktur entsprechend des Transportplans der Regierung als eine große Möglichkeit für ein Engagement deutscher Firmen in Norwegen. Siemens Norge und unser Mutterkonzern, die Siemens AG, haben beispielsweise im März dieses Jahres einen äußerst attraktiven Auftrag von der norwegischen Staatsbahn Bane NOR zur Digitalisierung der Infrastruktur des norwegischen Schienennetzes erhalten. Das ist mit einem Volumen von 800 Millionen Euro der größter Auftrag für Siemens im Bereich Bahninfrastruktur.
Die Zusammenarbeit im Gasbereich läuft problemlos. Norwegische Unternehmen sollten internationale Messen in Deutschland mehr nutzen, um ihre Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren.
Alles in allem – es läuft sehr gut.
Was hat die AHK Norwegen dann noch zu tun?
Wir sind die größte Auslandshandelskammer in Norwegen und das Interesse der deutschen Wirtschaft an den Dienstleistungen der Kammer lässt nicht nach. Norwegen hat viele komplizierte Regeln im Unternehmensbereich. So brauchen deutsche Firmen Unterstützung, wenn sie auf dem norwegischen Markt tätig sein wollen – angefangen bei steuerlichen Fragen bis zur Personalbeschaffung. Der einfache Zugang zur AHK ist für die Unternehmen von großem Wert.
Außerdem organisiert die AHK Konferenzen auch in Deutschland und macht den norwegischen Markt somit sichtbarer. Eine wichtige Rolle spielt sie bei der Einführung von Industrie 4.0 in norwegischen Firmen. Sie vermittelt Erfahrungen aus Deutschland und organisiert auch direkte Kontakte zwischen den Unternehmen. Auf der anderen Seite vermittelt sie Wissen und Erfahrungen aus Norwegen zur Unterstützung der Energiewende in Deutschland. Die AHK wird sich noch stärker auf Greentech fokusieren, weil dieser Bereich für beide Länder immer wichtiger wird.
Als Norwegerin an der Spitze eines deutschen Tochterunternehmens kennen Sie beide Geschäftskulturen. Wo sehen Sie die größten Gemeinsamkeiten, wo die größten Unterschiede zwischen Deutschen und Norwegern im Business?
Zwei auffällige Unterschiede gibt es: Norwegische Firmen haben flachere Strukturen und in Deutschland ist der Respekt vor der Autorität, vor der Position, ausgeprägter als in Norwegen.
Ein deutscher Manager versteht zum Beispiel nicht, dass ein norwegischer Mitarbeiter Anweisungen nicht automatisch befolgt, sondern mehrmals nachfragt. In Norwegen wollen Mitarbeiter stärker in die Aufgabenstellung involviert sein.
Norwegische Unternehmen sind auch sehr flexibel bezüglich der Arbeitszeiten. Das interpretieren unsere deutschen Kollegen oft falsch. Wenn an einem Freitagnachmittag die Mehrzahl der Schreibtische leer ist, denken manche, die Norweger sind faul. Sie sehen nur den leeren Schreibtisch, aber nicht die hohe Produktivität, die hinter dieser Flexibilität steckt.
Insgesamt aber agieren wir ziemlich gleich. Ich mag an den Deutschen vor allem, dass sie tun, was sie sagen.
Die Norweger nicht?
Doch, aber es gibt eben Regionen in der Welt, da trifft man auf völlig andere Unternehmenskulturen.
In Norwegen kann man sich auch auf die Leute verlassen, aber wir sind nicht so direkt, besonders wenn es um ein negatives Feedback geht.
Wir sind auch nicht sehr emotional. Amerikaner sind wie ein Pfirsich – außen weich mit einem harten Kern. Norweger kann man mit einer Kokosnuss vergleichen – schwer zu knacken. Aber hat man das geschafft, läuft die Zusammenarbeit bestens.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jutta Falkner.