
Norwegen ist als einer der größten Öl- und Gasproduzenten weltweit vom Verfall des Ölpreises besonders betroffen. In nahezu allen Bereichen stagniert die Wirtschaft Wie wirkt sich das auf die deutsch-norwegischen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen aus?
Die norwegische Wirtschaft zeigt insbesondere an der Westküste und in Stavanger deutliche Spuren des Rückgangs im Öl- und Gasgeschäft. Die übrige Industrie in Norwegen entwickelt sich jedoch nach Plan, sodass wir beim Bruttoinlandsprodukt ein Wachstum von ca. 1 Prozent erreichen werden. Die stark rückläufigen Investitionen der meisten Öl- und Gasproduzenten in Norwegen seit 2014 haben jedoch zu Personalreduzierungen geführt. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass die Arbeitslosenquote in Norwegen zu Ende August auf fünf Prozent angestiegen ist. Oslo ist bisher von der Abschwächung des Marktes verschont geblieben, wobei sogar der Konsum bisher noch keinen Rückgang signalisiert.
Vor etwa zwei Jahren hat sich die norwegische Regierung die Diversifizierung der Wirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Die Industrie außerhalb der Öl- und Gasbranche sollte besonders gefördert werden. Wie ist das Land auf diesem Weg vorangekommen?
Zwischenzeitlich hat Norwegen die Aquakultur sowie die Fischbranche deutlich ausgeweitet und in 2014 und 2015 Rekorde bei den Fischexporten erreicht. Interessant ist dabei, dass einige Technologien aus der Ölindustrie auch bei der Aquakultur durchaus Anwendung finden können. Weitere Umstellungspläne sind derzeit noch in Arbeit und werden für die Umsetzung sicherlich noch einen Zeitrahmen von zwei bis drei Jahren benötigen.
Wie konnten oder können deutsche Unternehmen davon profitieren?
Um den Rückgang der Öl- und Gasbranche für die Volkswirtschaft abzuschwächen, hat die norwegische Regierung entschieden, den nationalen Transportplan mit all seinen Infrastrukturmaßnahmen, d.h. Straßen, Flughäfen, Hochbauten, Tunnel, Brücken und Hospitale, noch konsequenter umzusetzen. Diese Projekte sind für die spezialisierten deutschen Unternehmen von großem Interesse. Wir als Handelskammer stellen seit 2014 fest, dass deutsche Unternehmen verstärkt Aufträge erhalten und als Partner für die norwegische Industrie auftreten. Das trifft unter anderem für die Follo Line, den Tunnel und die Brückenbauprojekte entlang der Küstenstraße E39 zu.
Wie entwickeln sich die Investitionen deutscher Unternehmen in Norwegen und norwegischer Unternehmen in Deutschland?
Von der deutschen Seite sehen wir eher projektbezogene Investitionen in Norwegen, z. B. in der Baubranche. Die Anzahl der norwegischen Unternehmen, die in Deutschland investieren, ist für den Mittelstand nach wie vor überschaubar.
Norwegen ist ein Pionier im Bereich E-Mobilität. Insgesamt genießt das Thema Klimaschutz eine hohe Priorität. Welche gemeinsamen Projekte gibt es in diesem Bereich zwischen Deutschland und Norwegen?
Der norwegische Automobilmarkt ist derzeit ein interessantes Beispiel, um zu verfolgen, wie sich durch die Einführung von Elektroautos sowie von Hybrid-PKWs der Markt innerhalb einer relativen kurzen Zeit von etwa zwei Jahren verändert. Wir sehen, dass Diesel- und Benzin-PKWs an Marktanteilen verlieren bzw. bestenfalls stagnieren, während Hybrid- und Elektrofahrzeuge seit 2014 deutlich an Marktanteil gewonnen und sogar zu einer Ausdehnung des Marktes beigetragen haben. Nach anfangs verhaltenem Markteintritt in Norwegen sind mittlerweile alle deutschen Hersteller mit entsprechenden Modellen vertreten. Norwegen wird gerne als Testmarkt für die zukunftsorientierten Modelle gesehen.
Welche Themen beschäftigen die Mitglieder der AHK Norwegen momentan und wie können Sie die Firmen diesbezüglich unterstützen?
Ein großes Thema ist derzeit Industrie 4.0 und Digitalisierung von Gesellschaften. Hier, wie auch in anderen Bereichen, bieten wir deutschen wie norwegischen Unternehmen mit Konferenzen, Seminaren oder Matchmakingveranstaltungen eine Plattform für Inspiration, neue Netzwerke und Kompetenz. Viele Firmen sind auf der Suche nach neuen Märkten für ihre Produkte und Dienstleistungen und finden in Norwegen bzw. Deutschland ideale Voraussetzungen. Für diese Unternehmen sind wir der erste Ansprechpartner. Wir sind mit der jeweiligen Marktsituation vor Ort vertraut und kennen die Regelungen und Vorgaben bei der Auftragsabwicklung.
Hinzu kommen von deutscher Seite immer wieder Fragen aus gesellschafts-, steuer- und arbeitsrechtlichen Bereichen. Hier sind wir mit unseren Juristen sehr gut aufgestellt und können schnell und unkompliziert weiterhelfen.
Wie sehen Sie die Perspektive der deutsch-norwegischen Wirtschaftsbeziehungen?
Die norwegische Industrie greift gerne auf die Erfahrung der größten europäischen Wirtschaft zurück und arbeitet deshalb mit der deutschen Industrie bei Themen wie Digitalisierung und Industrie 4.0 zusammen. Deshalb reiste die norwegische Wirtschaftsministerin Monica Mæland im Frühjahr dieses Jahres nach München und Stuttgart, um erfolgreiche Beispiele der deutschen Industrie kennenzulernen und die wirtschaftlichen Kontakte zu intensivieren. Die deutsche Industrie möchte Norwegen bei seinem Umstellungsprozess gerne unterstützen.