
Brüssel, 18. Oktober 2016 (Georgi Gotev, EurActiv). Polen plädierte im EU-Parlament für das neue Gasleitungsprojekt Northern Gate. Der polnische Regierungsbevollmächtigte für strategische Infrastruktur, Piotr Naimski, sprach sich bei einer Anhörung im EU-Parlament dafür aus, Gas aus Norwegen über Dänemark via Pipeline nach Polen zu transportieren.
Das Projekt – auch bekannt unter dem Namen Norwegischer Korridor – soll bis 2022 zehn Milliarden Kubikmeter norwegisches Erdgas pro Jahr nach Polen transportieren. Von dort aus könnte man einen Teil des Gases in andere Länder weiterleiten, wie zum Beispiel nach Ungarn, in die Slowakei, die baltischen Staaten oder sogar in die Ukraine. Polens Bedarf liegt derzeit bei 14 Milliarden Kubikmetern im Jahr.
Das angestrebte Importvolumen von zehn Milliarden Kubikmetern im Jahr scheint nicht viel im Vergleich zu den Kapazitäten des Projekts, gegen das sich Polen seit langer Zeit sträubt: Nord Stream 2. Diese Pipeline könnte jährlich 55 Milliarden Kubikmeter an Gas transportieren.
Die Ursprünge des Northern-Gate-Projekts reichen bis ins Jahr 2009 zurück. 2013 erhielt Baltic Pipe, ein Bestandteil des Vorhabens, von der Kommission den Status „Projekt von gemeinsamem Interesse“. Zwei Jahre später gewährte das EU-Förderprogramm Connecting Europe Facility (CEF) einen Zuschuss für eine Durchführbarkeitsstudie.
Die EU-Kommission habe von Anfang an gedacht, dass dies ein sehr wichtiges Projekt sei, betonte Maroš Šefčovič, Kommissionsvizepräsident und Chef der Energieunion, bei der Anhörung. Bis zum Ende des Jahres soll die Durchführbarkeitsstudie abgeschlossen sein, ab 2017 beginne dann die „Open Season“. Von da an können gewerbliche Einrichtungen ihr Interesse bekunden, Gas von der neuen Route zu beziehen.
Naimski zufolge ist russisches Gas in Polen teurer als in westeuropäischen Ländern – und das, obwohl diese viel weiter weg liegen. Sein Land brauche Versorgungssicherheit zum geringstmöglichen Preis, Naimski weiter. Northern Gate sehe man in Polen als Konkurrenzprojekt zu Nord Stream 2, welches ebenfalls Gas auf dem mitteleuropäischen Markt verkaufen will.
Das neue Vorhaben soll spätestens 2022 abgeschlossen sein. Bis 2019, so ein polnischer Beamter, will das Land jedoch schon an dem Punkt angekommen sein, an dem es kein Zurück mehr von der Fertigstellung gibt. Denn auch Nord Stream 2 soll 2019 an den Start gehen.
Dänische und norwegische Politiker aller Ebenen haben sich laut Naimski bereits über Northern Gate ausgetauscht. Von der politischen Seite her gebe es somit keine weiteren Hindernisse für das Projekt. Die norwegische EU-Botschafterin Oda Helen Sletnes jedoch unterstreicht, dass sich das Vorhaben auch wirtschaftlich rentieren müsse. Norwegen ist mit einem Gasexportvolumen von 114 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2015 nach Russland der zweitgrößte Gasversorger der EU. Sletnes zufolge wird die Produktion auch in den nächsten 20 Jahren noch stabil bleiben.
Um die neue Pipeline-Option zu unterstützen, bräuchte die verantwortliche Industrie Garantien, so die norwegische Diplomatin. Mit dieser marktorientierten Einstellung stimmt auch Vibeke Pasternak Jorgensen überein, stellvertretende Ständige Vertreterin Dänemarks bei der EU. Sie setzt auf die Durchführbarkeitsstudie. Denn diese werde es ermöglichen, eine Entscheidung über die Zukunft des Projektes fällen zu können.
EurActiv befragte Naimski, weshalb die ersten beiden Projektanläufe in der Vergangenheit gescheitert waren. Größtes Hindernis sei Polens langfristiger Gasvertrag mit Gazprom gewesen, erklärt der Regierungsvertreter. Da dieser jedoch 2022 auslaufe, löse sich dieses Problem ganz von allein.
Ähnliche Infrastrukturprojekte brauchen laut Šefčovič manchmal „strategische Unterstützung“. Die EU-Kommission werde ihre Entscheidungen auf Grundlage der Durchführbarkeitsstudie fällen. Von der Open Season erwartet er sich dann mehr Klarheit.