
Oslo, November 2015, von Heiko Steinacher (gtai). Experten schätzen das technische Windkraftpotenzial an Norwegens Westküste auf 900 TWh. Wegen seiner starken Kompetenz in der Öl- und Gasförderung werden dem Land große Chancen im Bereich der Offshore-Windenergie zugeschrieben. Ein Nachteil sind die relativ hohen Übertragungs- und Netzanschlusskosten, da die Verbrauchszentren nicht immer in Küstennähe liegen. Tatsächlich eingespeist wurden 2014 erst 2,2 TWh. Trotz der niedrigen Strompreise gibt es mehrere neue Großprojekte.
Die beiden Windpark-Entwickler KR Vind und Norsk Mijökraft werden im Norden Norwegens zwei neue Windparks, Kvitfjell und Raudfjell, mit einer Gesamtleistung von 300 MW bauen. Nach Meinung der Investoren handelt es sich dabei um das größte Windkraft-Projekt im nördlichen Landesteil. Da der Netzanschluss in den nächsten Wochen erfolgt, können fertiggestellte Einzelanlagen ans Netz gehen. Die volle Leistung werden die beiden Windparks voraussichtlich Ende 2017 erreichen.
Neue Windpark-Projekte in Nord- und Südnorwegen genehmigt
Auch in der Nähe der südnorwegischen Gemeinde Tonstad entsteht ein neuer Windpark. Laut Untersuchungen soll er mehr als 3.000 Volllaststunden bei einer Jahresenergieerzeugung von 620 GWh erreichen. Entwickler ist das aus der Fusion des norwegischen Unternehmens Havgul Clean Energy mit der schwedischen Triventus Wind Power hervorgegangene Unternehmen Havgul Nordic. Das neue Unternehmen verfügt im nordischen Raum über 15 Projekte mit einer Gesamtkapazität von fast 1,6 GW, darunter fünf Projekte in Norwegen über 865 MW. Baustart des Windparks ist voraussichtlich 2017, die Fertigstellung ist zwei Jahre später geplant.
Darüber hinaus gibt es in dem Königreich eine Reihe mittelgroßer und kleinerer Windkraftprojekte, unter anderem Telleneset (200 MW; Betreiber: Zephyr) und Egersund (110 MW; Norsk Vind Energi). Die schwedische Niederlassung des deutschen Energieversorgers E.on ist in den norwegischen Windkraftmarkt eingestiegen. E.on arbeitet an fünf Onshore-Projekten, von denen sich zwei in einem fortgeschrittenen Stadium des Konzessionsprozesses befinden.
Die zahlreichen Projekte sind ein Hoffnungsschimmer für die Branche. Im Sommer dieses Jahres hat der größte Energieversorger des nordischen Landes, Statkraft, mehrere Windkraftprojekte in Zentral-Norwegen mit einer Kapazität von insgesamt um die 1.000 MW auf Eis gelegt, da die Vorhaben, deren Entwicklungskosten sich auf rund 11 Mrd. Norwegische Kronen (nkr; knapp 1,2 Mrd. Euro, 1 Euro = 9,3075 nkr im September-Durchschnitt 2015) aufsummiert hätten, angesichts der niedrigen Preise an der skandinavischen Strombörse derzeit unrentabel seien. Allerdings vollzog Statkraft wenige Wochen später eine Kehrtwende und möchte die beiden Projekte Fosen und Snillfjord nun doch durchführen. Die Turbinen dafür wird der dänische Windkraftanlagenhersteller Vestas liefern.
Im März 2015 haben sich Norwegens und Schwedens Energieminister, Tord Lien und Ibrahim Baylan, darauf geeinigt, das gemeinsame Ausbauziel für erneuerbare Energien um knapp 8% anzuheben: Bis 2020 sollen nunmehr 28,4 TWh mehr pro Jahr (statt 26,4 TWh) aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden. Die Änderung soll zum 1.1.16 in Kraft treten.
Dabei soll der ʺGrüne Zertifikateʺ-Handel helfen, in den Norwegen im Jahr 2012 gemeinsam mit Schweden eingetreten ist. Im Gegensatz zu den in Deutschland bekannten, festen Einspeisetarifen werden die Zertifikate (norwegisch: Elsertifikat) an der Strombörse gehandelt und haben marktbasierte Preise. Eigenerzeuger und einige energieintensive Industrien müssen mittels dieser nachweisen, wie viel der an Endkunden gelieferten beziehungsweise selbst verbrauchten Energie im Jahr sie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Die grünen Zertifikate sind technologieunabhängig.
Nach 2021 keine grünen Zertifikate mehr zu den heutigen Regeln
Um in das System – das im Jahr 2035 ausläuft – aufgenommen zu werden, müssen die betreffenden Anlagen bis Ende des Jahres 2021 ans Stromnetz angeschlossen sein. Die Zertifikate sind für einen Zeitraum von 15 Jahren – beziehungsweise nur von 14 Jahren, falls der Netzanschluss erst im Jahr 2021 erfolgt – gültig. Bei Projekten, für die noch keine Konzession beantragt wurde, kann es daher aufgrund der mehrjährigen Planungszeit schwierig werden, von dieser Fördermaßnahme zu profitieren.
Dabei sollte gerade die Windenergie durch das Zertifikatssystem mehr Schubkraft erhalten. Angesichts der – vor allem aus Umweltschutzgründen – geringen Ausbaupotenziale bei Wasserkraft wollte Norwegen vor allem die Windkraftnutzung voranbringen. Doch sei die Gesamtvergütung, also Strom- plus Zertifikatspreis – obwohl der Zertifikatspreis in den letzten Monaten wieder etwas nach oben gegangen ist – als Anreiz für Investoren zu niedrig, sagen Experten. Bis Ende 2014 waren in dem Königreich erst rund 856 MW Windenergieleistung installiert; tatsächlich eingespeist wurden 2,2 TWh, was nur rund 1,5% der gesamten Stromproduktion ausmachte.
Günstigere Abschreibungsregelungen sollen Windkraftausbau beflügeln
Um das zu ändern, kündigte die Regierung in Oslo im Februar 2015 an, die Abschreibungsregeln für Windkraftanlagen zu verbessern. Wie in Schweden, sollen diese auch in Norwegen zukünftig über einen Zeitraum von fünf Jahren um 20% linear abgeschrieben werden können. Zwar hat das Parlament in Oslo die Änderung gebilligt, die erforderliche Entscheidung Brüssels steht indes noch aus. Nach Berechnungen des nationalen Windenergieverbands Norwea dürften sich bei Einführung dieser Maßnahme die Stromgestehungskosten um umgerechnet 3 bis 4 Euro/MWh verringern und der interne Zinsfuß eines mittelgroßen Investitionsprojekts (120 MW) um 0,75 bis 1% erhöhen.
„Durch den stark gefallenen Ölpreis hat die Krone erheblich gegenüber internationalen Leitwährungen abgewertet – mit dem Ergebnis, dass viele ausländische Investoren, vor allem Finanzinvestoren, nach Norwegen kommen“, sagt Andreas Thon Aasheim, Sonderberater Grid/Markets bei Norwea. „Und die meisten Akteure brauchen heutzutage Coinvestoren – ein Phänomen, das vor einigen Jahren noch weitgehend unbekannt war“, fährt Aasheim fort, der angesichts der interessanten Beteiligungsmöglichkeiten hierüber bereits mit potenziellen deutschen Investoren gesprochen hat.
Japaner wollen „saubere“ Energie aus Norwegen importieren
Nach Informationen der Tageszeitung Alaska Dispatch News möchten japanische Firmen „saubere“ Energie aus Norwegen importieren. Das Land der aufgehenden Sonne suche stabile, langfristige Beziehungen zu Lieferanten umweltfreundlicher Energien und habe dafür die nördlichste Provinz Finnmark anvisiert. Überschüssiger erneuerbarer Strom soll mittels der Power-to-Gas-Technologie in Wasserstoff umgewandelt und dann über die Nordostpassage entlang der Nordküsten Europas und Asiens, dem kürzesten Weg von der Finnmark nach Japan, transportiert werden. Gemeinsam mit Siemens und Kawasaki Heavy Industries untersuche Norwegens größtes unabhängiges Forschungsinstitut SINTEF in einer vorbereitenden Studie hierfür bereits konkrete Möglichkeiten.
Eine von Norwegens Direktion für Wasserressourcen und Energie (Norges vassdrags- og energidirektorat; NVE) ausgearbeitete, interaktive Karte mit allen Windkraftprojekten in dem Königreich ist unter http://www.vindportalen.no/vindkraft-i-norge/kart.aspx abrufbar.
Informationen zu Konzessionsersuchen werden unter http://www.nve.no hinter den Schaltflächen „Konsesjoner“, „Konsesjonssaker pa hoyring“ und „Vindkraft“ veröffentlicht; ferner lassen sich dort Details zu Projekten in anderen Vergabeprozess-Stadien einsehen.
Windkraft in Norwegen
Insgesamt installierte Leistung 1) | 856 MW |
Eingespeiste Strommenge 2) | 2,2 TWh |
Kapazitätsfaktor 3) | 31% |
Neu installierte Leistung 2) | 45 MW |
Voraussichtlich bis zum Jahr 2020 insgesamt installierte Leistung 4) | 3.000 bis 3.500 MW |
Voraussichtlich im Jahr 2020 eingespeiste Strommenge 4) | 6 bis 8 TWh |
1) Ende 2014; 2) Jahr 2014; 3) Jahresenergieertrag in kWh geteilt durch das Produkt aus Nennleistung der Windenergieanlage in Kilowatt und die 8.760 Stunden des Jahres; 4) Schätzung der Regierung, Quelle: http://www.vindportalen.no